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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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schürten seinen Groll. Er dachte an jenen verhängnisvollen Tag zurück, als er aus Aschkelon heimgekehrt war, wo er eine Lieferung Zedernholz in Empfang genommen hatte. Aus zwei Gründen war er dort gewesen: Erstens, weil er Oberhaupt des davidischen Stammes war, dem Herodes unter anderen Privilegien auch das der Holzbeschaffung für den Tempelbau zugestanden hatte. Der Tempel war noch nicht fertig, und die Architekten benötigten Zedernholz für die Stützpfosten. Zweitens, weil er nicht nur Priester, sondern auch Zimmermann war, gehörte er doch zu den tausend Priestern, denen dreizehn Jahre zuvor von Herodes befohlen worden war, ein Handwerk wie das des Zimmermanns oder des Steinmetzes zu erlernen, damit der geheiligte Boden des Tempels nicht von gottlosen Füßen entweiht werde. Eine Woche lang war er also in Aschkelon gewesen, vier Monate, nachdem er dem Wunsch des Hohenpriesters dann doch nachgegeben und Maria als Mündel zu sich genommen hatte. Die längere Abwesenheit hatte seine müden Augen alles klarer erfassen lassen: An jenem Abend, kurz nach dem Essen, als Maria hereingekommen war, um den Tisch abzuräumen, hatte ihn plötzlich die Erkenntnis durchzuckt, daß die Rundungen, die ihm zuvor an ihr kaum aufgefallen waren, nicht etwa Anzeichen einer blühenden Gesundheit waren. Nein, Maria war schwanger. Gott im Himmel, dieses unselige Mädchen hatte sich zur Sünde hinreißen lassen! Man würde sie steinigen. »Mit wem hat Maria in letzter Zeit zu tun gehabt?« fragte er seine beiden Söhne. Seiner Schätzung nach mußte Maria im vierten Monat ihrer Schwangerschaft sein, also hatte der Sündenfall gleich nach ihrem Einzug in seinem Haus stattgefunden.
    »Mit niemandem«, antwortete Simon zerstreut. »Warum fragst du?«
    »Habt ihr denn keine Augen im Kopf?« brüllte Josef los. »Sie ist schwanger!«
    Die beiden Söhne sahen Josef entgeistert an. »Schwanger?« wiederholte Judas. »Wie sollte das geschehen sein?«
    Logen sie? Oder war es ein anderer gewesen? Er ließ Maria zu sich kommen, nachdem er seine Söhne entlassen hatte. Schroff stellte er sie zur Rede. »Mädchen, du trägst ein Kind in deinem Bauch. Und Kinder entstehen erst, nachdem die Frau den männlichen Samen empfangen hat. Also bist du keine Jungfrau mehr und hast ohne die Bande der Ehe die Sünde fleischlicher Lust begangen. Mit wem? Ich will es wissen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin unberührt«, beteuerte sie.
    Diese Verlogenheit! Diese Unverfrorenheit! Und doch, er war noch im Zweifel. Er wollte nach einer Hebamme schicken, die sie untersuchen sollte. Der Nachteil war nur, daß eine Hebamme ihre Zunge nicht im Zaum halten konnte, so daß diejenige, die kommen und bei Maria eine Schwangerschaft feststellen würde, noch in derselben Minute, in der sie das Haus verließ, einen Skandal auslösen würde, der Marias Leben zerstören mußte. Also wartete er erst einmal ab, wobei es ihm jedoch auch in der Folgezeit nicht gelang, seine Söhne als Schuldige zu überführen noch Maria irgendein Geständnis abzuringen. Die Dinge allerdings lagen klar auf der Hand.
    Auf und ab ging er auf dem vereisten Erdboden vor dem Stall. Es begann zu regnen. Er fröstelte und zog den Mantel enger um seine gebrechlichen Schultern. Die Erinnerungen stiegen weiter in ihm auf. Eine Nachbarin hatte Marias Schwangerschaft bemerkt und tratschte ihre Entdeckung herum. Hannas, einem Schriftgelehrten aus dem Tempel, kam dieser Klatsch prompt zu Ohren. Josef hatte das Gesicht der Frau in widerwärtiger Erinnerung: eine speckige Haut, rote Lider um die Augen eines Wiesels und ein Mund wie ein Katzenwels. Wie um die Lage noch zu verschlimmern, war Josef nach der Entdeckung des schrecklichen Zustandes nur noch selten im Tempel erschienen; er fühlte sich so ausgelaugt, daß er schon den Tod herbei wünschte, um von seinem Mißgeschick erlöst zu werden. Doch er war noch immer unter den Lebenden, als Hannas eines Tages an seine Tür klopfte und sich in unheilverheißendem Ton nach dem Grund seines Fernbleibens erkundigte.
    Die Schmach einer Lüge wurde Josef erspart, denn Hannas fragte sogleich: »Ist es, weil Maria schwanger ist?«
    »Ja«, antwortete Josef.
    »Warst du es?«
    »Der Herr möge dir verzeihen«, murmelte Josef.
    »Das kann nicht verborgen bleiben«, meinte Hannas.
    Und es blieb auch nicht verborgen: Noch am selben Tag wurde Simon, der Hohepriester, darüber in Kenntnis gesetzt. Er zitierte Josef zu sich. Simon wollte zunächst nicht an dergleichen

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