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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Schweigen legte sich über die Versammelten und ließ jeden in furchtsamer Erwartung erstarren. Man hätte eine Nadel zu Boden fallen hören können. Der Hohepriester aber, der seinen fatalen Fehlgriff einfach nicht zu bemerken schien, strahlte den König triumphierend an.
    Schließlich gähnte Herodes gedehnt und lachte dann schallend los. »Eine sehr ermutigende Vorhersage, meine lieben Gäste! Trotzdem muß ich euch enttäuschen. Wir erwarten keine königliche Geburt im Nisan. Auch nicht im Monat darauf oder später.«
    Die Parther standen wie Salzsäulen erstarrt. Ihre Unterkiefer hingen herab. Ein Luftzug fuhr in die Himmelskarten und rollte sie zusammen. Tisimak grinste hämisch angesichts des Mißgeschicks seiner Konkurrenten.
    »Seht«, fuhr Herodes fort, »es gibt auch Gerüchte, denen zufolge ein König aus der direkten Nachkommenschaft Davids erwartet wird. Eure syrischen Freunde haben euch davon sicher erzählt. Jedoch trifft diese Hypothese ebensowenig zu wie die eure. In Wirklichkeit ist es heutzutage unmöglich, den Stamm Davids zurückzuverfolgen, da er nach Serubbabel so sehr durcheinandergeraten ist, daß es ihn so gut wie nicht mehr gibt. In ganz Palästina gibt es nicht einen einzigen Juden, der ernsthaft von sich behaupten könnte, er sei der wahre Erbe von Davids Thron.«
    Die Umstehenden lächelten erleichtert mit herablassender Miene. Herodes warf einen Blick nach rechts, dann nach links und sagte mit erhobener Stimme, in der etwas Drohendes lag: »Bedenkt doch, bei all den Intrigen hier am Hofe hätte man gewiß davon gehört, daß ein solcher Mann existierte! Denn die Geburt eines Fürsten kommt, wie ihr wißt, nicht von ungefähr. Er muß von einem Fürsten gezeugt sein. Nur einen solchen Fürsten hättet ihr aufsuchen wollen, nicht wahr? Und was andere betrifft, die vielleicht ein Auge auf den Thron geworfen haben und ihn sich womöglich mit List oder Gewalt aneignen wollen... lange dürften die kaum zu leben haben.«
    Wie Straßenverkäufer ihre Ware am Ende eines erfolglosen Tages einpacken, rollten die Parther bereits ihre Pergamente zusammen. »Die Sterne haben sich getäuscht«, schloß Herodes. »Nicht wahr, Ti-simak?«
    »Weder der Himmel noch du, mein Gebieter, täuschen sich jemals«, erwiderte Tisimak. »Ihr werdet nur manchmal falsch gedeutet.«
    Der oberste Parther machte dem Kammerherrn ein Zeichen und übergab ihm dann die Geschenke, die dem zu nichts zerronnenen zukünftigen König zugedacht gewesen waren: ein mit Elfenbein- und Kupferintarsien verziertes Zedernholzkästchen voll Weihrauch, Duftfläschchen, die Narde, chinesischen Zibet und Gewürznelkenöl enthielten und ein Säckchen aus Seide prall von Edelsteinen. Die traurige Opfergabe machte jeden Kommentar überflüssig. Die Parther verneigten sich schlicht vor dem König, während der Kammerherr diesem die Geschenke zu Füßen legte. Auch Herodes verneigte sich zur Antwort, und sie verabschiedeten sich. Im Hofstaat wurde es wieder lebendig. Diese Parther!
     
    Am späten Nachmittag eines windigen Tages im Nisan jenes Jahres klopfte ein alter Mann an die Tür der einzigen Hebamme von Bethlehem. Sie kaute noch an ihrem Abendessen. »Einen Augenblick, ich bin gleich fertig«, antwortete sie mechanisch, als sie die Tür öffnete, ohne ihren Besucher auch nur eines Blickes zu würdigen. Unbekümmert um den Wind, ließ sie die Tür offenstehen und eilte in die Stube, um ihren Mantel zu holen. Erst als sie zurückkehrte, bemerkte sie, wie hoch betagt ihr Kunde war.
    »Was heißt denn das?« fragte sie bissig. »Sind die Ehemänner heutzutage so schwächlich, daß sie sich nicht selbst in die Kälte hinauswagen, um die Hebamme zu holen?« Sie ließ die Tür hinter sich zufallen. »Wo ist deine Tochter? Seid ihr aus Bethlehem? Ich erinnere mich nicht, dich schon einmal gesehen zu haben, auch wenn diejenige, die dich zur Welt gebracht hat, bereits seit etlichen Monden nicht mehr unter uns Lebenden weilen dürfte.«
    »Ich wohne nicht in Bethlehem«, antwortete der alte Mann, »aber ich bin hier geboren. Jakob, ein Priester aus dem Stamme Davids, war mein Vater. Und ich bin Josef, Priester in Jerusalem. Die Frau aber ist nicht meine Tochter, sondern meine rechtmäßig angetraute Frau.«
    Die Alte blieb wie angewurzelt stehen und musterte Josef von oben bis unten. Achtzig, vielleicht fünfundachtzig Jahre mochte er alt sein. Sie öffnete den Mund, besann sich dann aber und schloß ihn wieder. »Wohin gehen wir?« fragte sie,

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