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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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diese unheimliche Stille im Stall? Er erschauerte und betete verzweifelt zum Herrn.
    Ja, er hatte Maria geheiratet. »Ich habe beschlossen, du wirst...« Alle waren sie sich einig gewesen in diesem Punkt. Ein Richter hatte zu bedenken gegeben, daß es einen bedauernswerten Präzedenzfall schaffen würde, wenn das Gericht die Möglichkeit einer Schwangerschaft ohne Verlust der Jungfräulichkeit öffentlich einräumte. Dann müsse nämlich für unter derartig ungewöhnlichen Umständen geborene Kinder ein rechtlicher Status erstellt werden. Ein anderer hatte erklärt, daß Josef als Oberhaupt des davidischen Stammes gar nicht anders könne, als sich dem Gerichtsbeschluß zu beugen, wenn er der Ehre der Nachkömmlinge Davids nicht Abbruch tun wolle.
    Er hatte sich zu wehren versucht: »Ich habe erwachsene Söhne, und ich bin ein alter Mann. Sie aber ist noch ein Kind... Ihr macht mich zum Gespött der Kinder Israels.«
    Die Richter blieben unbeugsam. »Fürchte Gott, deinen Herrn«, hatte Simon mit feierlicher Stimme gesagt, »und erinnere dich daran, was Er mit Datan, Abiram und Korach gemacht hat, unter deren Schritten die Erde sich teilte, um sie wegen ihrer Lügen zu verschlingen. Sieh dich vor, Josef, daß es nicht deinem Hause so ergehen wird!«
    Ein vorgefaßtes Urteil also. Josef musterte sie, wie sie da der Reihe nach saßen, und einmal mehr wurde ihm wie schon an Herodes’ Werken klar, was Ungerechtigkeit war. Die Alternative hieß: heiraten oder Gefängnis. Er entschied sich für die Ehe. Noch bevor sie das Gericht verließen, mußten sie sich von Simon vermählen lassen. Als dies geschehen war, wandte sich Josef an seine Richter und zitierte die folgenden Worte Ijobs:
     
»Meine Rede bleibt noch betrübt;
meine Macht ist schwach über meinem Seufzen.
Ach daß ich wüßte, wie ich Ihn finden
und zu Seinem Stuhl kommen möchte
und das Recht vor Ihm sollte vorlegen...«
     
    Noch gleichgültiger hätten sie sich kaum zeigen können. Auch kümmerte sie nicht das hämische Gelächter hinter vorgehaltener Hand und all der Schmutz, dem er sich in der Nachbarschaft auszusetzen hatte. In den Tempel wollte er fortan nicht mehr zurückkehren. Ihm blutete das Herz vor Enttäuschung und Wut. Sein einziger Trost war, daß er Simon und Judas vor Schimpf und Schande bewahrt hatte, obwohl auch sie ihr Teil an Verleumdungen abbekamen. Sein Haus war ein Haus der Stille geworden. Selbst wenn Jakobus, Justus, Lydia und Lysia zu Besuch kamen, benahmen sie sich wie bei einer Beileidsbezeigung. Maria hatte sich völlig in ihr Zimmer zurückgezogen. Sie war dem kalten Blick ihrer Stiefkinder einmal begegnet, und sie hatte verstanden. Die einzige Person, mit der sie überhaupt sprach, war die Dienstmagd, eine alte Frau, die großes Mitgefühl zeigte. Josef dachte oft an dieses Mädchen, das in seinem Haus lebte und ein Kind in seinem Bauch trug, dem er in einigen Wochen seinen Namen geben sollte. Sein Unmut und seine Verbitterung hatten nachgelassen; schließlich war sie ja ein Opfer des Zufalls und der Unkenntnis. Ihr Geheimnis aber blieb, wie es war. Was wußte diese zartwangige Sphinx tatsächlich davon, wie alles angefangen hatte? Hatte sie wirklich geschlafen, als ein Mann den Samen des Lebens in sie legte? Hatte sie denn überhaupt nichts bemerkt? Rein gar nichts? Bisweilen belauerte Josef den Gesichtsausdruck seiner Söhne Simon und Judas, wenn sie — allerdings mit quälender Behutsamkeit — auf seine Heirat zu sprechen kamen. Ein Zucken im Mundwinkel, ein Flackern in den Augen oder ein mürrisches Gesicht hätten ihm als Indiz dienen können. Aber nein, wenn tatsächlich einer von diesen beiden etwas zu verbergen hatte, dann war er Meister in dieser Kunst.
    Die Neugierde der Nachbarn und das Hauptinteresse des Tratsches galten natürlich der Geburt des Kindes. Selbstverständlich würde man eine Hebamme, das hieß ein Klatschmaul, hinzuziehen müssen, und die würde dann schon in Erfahrung bringen, von wem das Kind war, oder? Hebammen wußten immer alles, sie besaßen den Hauptschlüssel für alle Familiengeheimnisse. Man bedenke nur beispielsweise, wie Rebecca anhand eines Feuermals auf dem rechten Bein des zweiten Kindes von Efraim entdeckt hatte, daß der Vater Efraims eigener Bruder war... Josef hatte nur allzuviel von derlei Unsinnigkeiten zu hören bekommen, obgleich seine verstorbene Frau in ihrer frommen Unschuld diesen Gehässigkeiten gegenüber ein gleichgültig taubes Ohr entwickelt hatte; er beschloß also,

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