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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Da ihr außerdem zu Ohren gekommen war, daß Jesus dem Sanhedrin — dieser griesgrämigen Greisen- und Intrigantenbande — und Herodes — diesem schamlosen Lustmolch — aus tiefstem Herzen verhaßt war, hegte sie große Abneigung gegen beide, womit sie nun auch Pilatus schon angesteckt hatte. Sie zählte die Tage bis zum Passah-Fest, und um jenen Jesus, der auch der Messias genannt wurde — was sie sich nicht so recht erklären konnte —, nur ja nicht zu verpassen, hatte sie ein erstaunlich weit reichendes Informantennetz ins Leben gerufen, dessen Fäden unter anderem sogar bis in Hannas’ Hauspersonal gespannt waren.
    Da die Fenster ihrer Wohnung über dem Gebäudeflügel lagen, in dem sich die Quadernhalle — die reinste Ränkeschmiede, wenn man sie fragte — befand, konnte Procula alles, was sich dort abspielte, mit den Augen mitverfolgen, ein praktischer Umstand, den sie natürlich weidlich ausnutzte. So wurde sie vom Tage nach Gedaljas Unterredung mit Herodes an Zeuge einer ungewöhnlichen Betriebsamkeit im Sitzungssaal des Sanhedrin. Während die Sitzungen für gewöhnlich in langen Abständen aufeinanderfolgten und immer in aller Geruhsamkeit noch vor der Abenddämmerung endeten, kamen und gingen nun die Besucher erst weit nach Einbruch der Dunkelheit, und manche blieben sogar bis zu vorgerückter Stunde. Wenn sie den Hals verrenkte, konnte Procula beobachten, wie die Greise heftig gestikulierten oder in geheimnisvoller Bewegungslosigkeit verharrten. Wenn die Fenster offenstanden — und das kam bei den späten Sitzungen immer häufiger vor, weil ja der Rauch der Lampen abziehen mußte — , konnte sie sie nicht nur sehen, sondern sogar hören, doch sie verstand kein Hebräisch, und es drangen ohnehin nur die lautesten Satzbrocken an ihr Ohr. All dies war doch zu merkwürdig, und so schickte Procula die Äthiopierin, die der hebräischen Sprache mächtig war und sowohl den Aberglauben ihrer Herrin als auch deren Vorliebe für Jesus leidenschaftlich teilte, unter die Fenster, um dort zu lauschen. Wenig später kehrte die Sklavin mit traurigem Kopfnicken zurück, um Procula zu berichten, daß Hannas, der Hohepriester, Jesus’ Verhaftung vorbereite für den Tag, an dem dieser den Fuß in die Stadt setzen würde. Procula packte wilder Zorn. Nach der Wasseruhr war es die zehnte Stunde, Pilatus schlief also noch nicht. Sie eilte in seine Gemächer.
    Der Prokurator nahm gerade ein Kleiebad, wie ihm Herodes empfohlen hatte. Ohne Rücksicht auf die Anstandsregeln, die einer Frau verboten, außerhalb der trauten Intimität des Schlafzimmers ihren Mann nackt zu sehen, trat Procula zu ihm und teilte ihm die Neuigkeit mit. Die Intrige, wetterte sie, stelle eine grobe Verletzung der Autorität des Prokurators dar, da der Sanhedrin nicht berechtigt sei, irgend jemanden festzunehmen, ohne zuerst der römischen Obrigkeit davon zu berichten, selbst wenn die Verhaftung auf rein religiösen Gründen beruhe. Daraufhin rauschte sie wutschnaubend ab.
    Pilatus seinerseits regte sich auf, als ihm bewußt wurde, daß Herodes seine, Pontius Pilatus’, Autorität umgangen und den Sanhedrin alarmiert hatte, um seinen Plan, Jesus zu verhaften, in die Tat umzusetzen. Eine derartige Hartnäckigkeit, dachte Pilatus, kann nur bedeuten, daß es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt und daß mehr auf dem Spiel steht als die berechtigten oder unberechtigten Ansprüche eines galiläischen Magiers. Wenn dies der Fall war, dann durfte in seinem Obrigkeitsgebiet in dieser Sache keine Entscheidung ohne seine Zustimmung getroffen werden. Schließlich besaß er die höchste Macht in Judäa, und allmählich hatte er die hinterhältigen, krummen und scheinheiligen Touren all dieser Juden satt.
    Gleich am Morgen des nächsten Tages ließ Pilatus Hannas bestellen, daß er ihn unverzüglich zu sehen wünsche. Um die Mittagszeit begab sich der Hohepriester mit beleidigter Miene und in Begleitung von Gedalja in den Palast. Nachdem die üblichen Begrüßungsfloskeln ausgetauscht waren, kam Pilatus zur Sache.
    »Weder in Jerusalem noch anderswo wird es eine Verhaftung ohne meine Zustimmung geben«, verkündete er kurz angebunden. »Ich betrachte es als einen schwerwiegenden Angriff gegen die Obrigkeit, deren Vertreter ich bin, daß ihr euch auf meinem Territorium mit Beihilfe weiterer Mitglieder des Sanhedrin verschworen habt, einen Mann zu verhaften, der meines Wissens keinerlei strafbare Handlung begangen hat. Dies kommt einer vorsätzlich

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