Ein Mensch namens Jesus
Antwort des Kaisers werden wir weitere zwei Wochen warten müssen. Diese Versammlung muß morgen und für das Passah-Fest ein Oberhaupt haben. Ich bitte euch, einen Nachfolger zu wählen. Die Gerichtsschreiber haben meinen Rücktritt bereits registriert.« Er setzte sich wieder.
Sie beratschlagten sich. Und sie kamen zu keinem Ergebnis. Es war ebenso schwierig, einen Hohenpriester unter den Befürwortern von Jesus’ Verhaftung auszuwählen wie unter den Gegnern dieses Plans.
Nikodemus ben Bethyra hob die Hand.
»Sprich«, forderte Hannas ihn auf.
»Die einzige Möglichkeit, dem Befehl des Römers nachzukommen und ihm gleichzeitig um unserer Ehre willen zu trotzen, besteht darin, jemanden aus deinem Haus zu wählen. Ich dachte an deinen Schwiegersohn Kaiphas.«
Allgemeine Verwunderung.
»Er ist kein Mitglied des Sanhedrin«, gab Levi ben Pinhas zu bedenken.
»Wir können ihn sofort zum Mitglied wählen und gleich danach zum Hohenpriester«, entgegnete Nikodemus.
»Holt Kaiphas«, wies Hannas die Leviten an.
Eine halbe Stunde später kam er, frisch aus dem Bett. Untersetzt, mit tiefdunklem Haar und blaß stand er da.
Nikodemus berichtete ihm ausführlich den Sachverhalt. Er war einverstanden.
Kurz nach Mitternacht war er ernannt. Die feierliche Einsetzung ins Amt sollte so bald wie möglich stattfinden.
Die Wähler zogen sich zurück. Hannas, Kaiphas und Gedalja, der die Schlüssel hatte, blieben als letzte zurück. Der ehemalige und der neue Hohepriester wollten ebenfalls gerade gehen, als Gedalja einen Finger hob. Neugierig sahen sie ihn an.
»Es fehlt uns eine äußerst wichtige Information, um unseren Plan ausführen zu können«, sagte Gedalja.
»Auch ich habe daran gedacht«, sagte Hannas und nickte bedeutungsvoll. »Wer wird uns sagen, daß Jesus in Jerusalem eingetroffen ist? Ihn unter den Zehntausenden von Besuchern, die zum Fest kommen, herausfinden zu wollen wäre wie die Suche nach einer Stecknadel in einem Heuhaufen.«
»So ist es«, meinte Gedalja. »Wir brauchen einen Spitzel. Einen von Jesus’ eigenen Jüngern.«
XX.
Brot und Fleisch
Eine Stimme drängte sich in seinen Schlaf. Eine sanfte Stimme, die nicht seinen Träumen entsprang und ständig dasselbe Wort wiederholte: »Meister!« Er bewegte sich, noch halb im Schlaf. Seine Hände und Füße bekamen allmählich wieder ein Gefühl für die Wirklichkeit, und seine vom Alpdruck des Traums noch feuchte Haut litt unter der Leere, die sie plötzlich umgab.
»Meister! Bitte wach doch auf!«
Er schlug die Augen auf und sah in Johannes’ Gesicht, das sich über ihn neigte und dennoch eine Wegstunde von ihm entfernt schien. Er las Angst darin.
»Meister, eine Unmenge Leute warten draußen auf dich. Sie wissen alles... daß du übers Wasser gegangen bist.«
Er setzte sich auf seinem Lager, einer durchgelegenen Strohmatratze, am Boden auf. Die Morgendämmerung warf ein bläuliches Licht auf sein Gesicht, die Schultern und den Oberkörper. Er zog seinen Lendenschurz zurecht und stand auf, um den Wasserkrug vom Fensterbrett zu nehmen; er trank einen großen Schluck.
»Wirst du nicht zu ihnen sprechen? Sie sind hierhergekommen, statt zum Fischen auszufahren.«
»Da wäre wohl einer auch besser zum Fischen gefahren, statt von der letzten Nacht zu erzählen«, entgegnete Jesus fröstelnd und streckte die Hand nach seinem Gewand aus. »Geh nun, ich will mich waschen, und sag ihnen, daß ich dann komme.«
»Du machst es wirklich?«
Jesus lächelte.
»Die anderen sind endlich auch zurück. Judas, Philippus und auch Bartolomäus«, berichtete Johannes.
Die Hähne krähten. Er verließ das Haus durch die Hintertür und ging auf die Felder zu. Vom Boden stieg noch der Geruch feuchter Erde auf. Am klaren Himmel funkelten die letzten Sterne. Ein schöner Tag würde das werden! Er kehrte zurück, um sich mit einem Schwamm im Holzzuber zu waschen, den ihm die Frauen wie gewöhnlich mit kaltem Wasser gefüllt und bereitgestellt hatten. Er begann mit Gesicht und Haaren und wusch sich zuletzt Lenden und Füße. Dann rieb er sich trocken, ein wenig erstaunt über die Langsamkeit seiner Bewegungen, als wäre ihm sein Körper plötzlich fremd. Er kämmte sich die Haare nach hinten, band sie mit einem Leinenbändchen zu einem Knoten und schlüpfte in Gewand und Mantel.
Es stimmte, was Johannes gesagt hatte; eine Riesenmenge erwartete ihn. Tausend, zweitausend vielleicht, und keineswegs nur Fischer. Sie jubelten ihm zu.
Er begrüßte sie
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