Ein Mensch namens Jesus
Pilatus unter einer Decke zu stecken? Sobald diese Fliegenhirne sich einbilden, wir hätten bei Jokanaans Ermordung die Finger im Spiel gehabt, strömen sie nach Jerusalem, um dort Unruhe zu stiften.«
»Sehr gut, das wäre ja bestens!« entgegnete Gedalja. »Wir werden Jerusalem zu einer Falle machen. Wenn Jesus den Fuß in die Stadt setzt, lassen wir ihn wegen Aufwiegelung der Bevölkerung verhaften.«
»Aber zunächst müßten wir uns absichern, daß es eine rein religiöse Angelegenheit ist«, sagte Hannas langsam. »Pilatus würde uns das ansonsten übelnehmen. Wir sind nicht für die Einhaltung des Gesetzes auf der Straße zuständig, das ist Sache des Statthalters. Und außerdem, bis die Aufrührer aus Galiläa hier eintreffen — vermutlich erfahren sie die Neuigkeit in zwei bis drei Tagen — , stecken wir bereits mitten in den Vorbereitungen zum Passah-Fest, oder schlimmer noch, das Fest könnte dann schon in vollem Gange sein. Wir können Jesus also nicht verhaften und im Gefängnis schmoren lassen, denn damit würden wir die Aufwiegler geradezu provozieren, und das wiederum bedeutete Ärger mit Pilatus... Wir müssen ihn sofort aburteilen. Das ist schwierig, weil wir ja ab Freitag mittag keine Versammlung mehr einberufen dürfen und jedes gerichtliche Verfahren vom Sonnenuntergang dieses Tages bis zum darauffolgenden Montag eingestellt werden muß. Wenn wir Jesus also bei seiner Ankunft in Jerusalem verhaften, so müßten wir auch in einem extrem kurzen Zeitraum das Urteil, wie auch immer es ausfällt, vollstrecken... Eine äußerst gewagte Sache, denn wenn irgend etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommt, stehen wir völlig machtlos da.«
»Ein Urteil«, wiederholte Gedalja vorsichtig, »welches Urteil?«
»Eine Verurteilung zum Tod, was sonst?« rief Hannas gereizt. »Wenn wir ihn nicht verhaften, riskieren wir Unruhen. Wenn wir ihn festnehmen und uns mit einer Gefängnisstrafe begnügen, belagern seine Anhänger das Gefängnis, und es kommt auch zu Unruhen. Wir können das Problem nur ein für allemal lösen, wenn wir diesen Mann aus der Welt schaffen. Oh, Herodes werden seine Launen teuer zu stehen kommen! Wenn er Jokanaan nicht hingerichtet hätte, wären wir jetzt nicht gezwungen, so übereilt zu handeln!«
Wieder wanderte er im Raum auf und ab.
»Es war nicht Herodes’ Idee, sondern die seiner Frau Herodias«, warf Gedalja ein. »Jokanaan hat sie nicht grundlos verabscheut. Außerdem ist gar nicht sicher, daß Jesus nach Jerusalem kommt, um Unfrieden zu stiften. Er könnte ebensogut nichts unternehmen. Und weiter haben wir ein gewaltiges Problem außer acht gelassen, nämlich den Sanhedrin. Stell dir doch mal vor, du bekämst nicht die nötige Mehrheit, um ihn, Jesus meine ich, wegen irgendeines begangenen oder noch zu befürchtenden Verbrechens zu verurteilen. Das wäre weitaus schlimmer, als ihn von vornherein in Freiheit zu lassen.«
»Der Sanhedrin wird auf meiner Seite sein«, gab Hannas zurück. »Warte nur, wenn die erst alle einmal um ihr Amt zu zittern beginnen...!«
»Du kannst dir nur etwa der Hälfte der Stimmen sicher sein«, sagte Gedalja warnend. »Wir haben doch neulich gesehen, daß Leute wie Josef von Arimathäa, Nikodemus ben Bethyra, Levi ben Pinhas und etwa dreißig andere einen entschlossenen Kern des Widerstands bilden. Insbesondere Josef von Arimathäa hat oft recht erfolgreiche Überredungsversuche bei seinen Ratsbrüdern unternommen. Mir ist hinterbracht worden, daß es ihm gelungen ist, mehrere davon zu überzeugen, daß Jesus sehr wohl ein nicht offenbarter Messias sein könnte.«
»Nun gut«, rief Hannas entschlossen, wobei er die Schöße seines Umhangs raffte, »ich werde mich sofort um die Angelegenheit kümmern.«
Er eilte die drei Stufen zur Tür hinab. Gedalja folgte ihm. Trotz seines Alters legte der Hohepriester einen beachtlichen Schritt vor.
Gegen Mittag kehrte Manassah mit einer Girlande aus malvenfarbenen Schwertlilien und Rosen in den Palast zurück. Frisch geputzt wie er war, massiert und mit eingeölten, duftenden Haaren, strahlte er Gewitztheit und Zufriedenheit aus. Er sprang die Stufen zu Herodes’ Gemach empor, eilte, ohne sich anmelden zu lassen, an den gallischen Wachen vorüber, verneigte sich tief vor seinem Herrn, der auf einem Diwan ausgestreckt lag, und überreichte ihm die Blumen.
»Die ersten in diesem Jahr«, verkündete er fröhlich. »Gleich als ich sie erblickte, war mir klar, daß sie für dich gepflückt waren. Tausend Jahre
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