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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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entwickelt hat, daß die Welt angeblich ihrem Ende zugeht. Was bedeutet das? Daß der Allmächtige rätselhafterweise jahrhundertelang gewartet hat, um nun den Bund zu widerrufen. Warum? Und warum jetzt?
    »Die Wege des Herrn...«, wußte Nikodemus lediglich zu brummen. Dann jedoch: »Vielleicht weil es — so scheint es jedenfalls — das Ende Israels ist. Bewaffnete, wohin man sieht, ein korrupter Klerus, Provinzen unter der Regierung von zwei Tetrarchen und ein leicht verbitterter und entmutigter römischer Prokurator. Wenn das keine Vorzeichen sind!«
    »Ich bin ganz deiner Meinung«, erwiderte Josef. »Trotzdem wäre es möglich, unser Land durch einen König wiederzuvereinigen, ohne daß deswegen das Ende der Zeiten über uns hereinbrechen muß. Und Jesus könnte dieser König sein.«
    »Aber du hast eben selbst zugegeben, daß er schwer faßbar ist.«
    »Wenn er erst mal eine Krone trägt, wird er seine Ideen schon klarer zum Ausdruck bringen.«
    »Meinst du wirklich, er ist ein heiliger Mann?« Nikodemus zog die Falten seines Umhangs fester um sich. »Kalt ist es heute abend!«
    »Deswegen haben sich auch die Insekten ins Haus geflüchtet.«
    Josef von Arimathäa warf einen Blick zum Fenster hinaus. »Aber es schneit ja!« rief er plötzlich. Er wies einen Diener an, in einem zusätzlichen Kohlebecken Feuer zu machen. »Ja, er ist ein heiliger Mann«, sagte er dann, »darüber besteht kein Zweifel. Und deshalb werde ich auch mit allen Mitteln versuchen, ihn aus den Klauen Kaiphas’ zu retten.«
    Der Diener brachte das Kohlebecken, schürte die Glut. Bald darauf meldete er, daß ein Mann da sei, der dringend den Hausherrn zu sprechen wünsche.
    »Laß ihn sogleich hereinkommen«, sagte Josef.
    Der Mann, der eintrat, war fast vollständig in einen Mantel gehüllt. Nur ein Bruchteil seines Gesichtes war zu erkennen, das Gesicht eines reifen Mannes. Josef reichte dem Kundschafter einen Becher Wein und fragte ihn, was er zu berichten habe.
    »Die Tempelpolizei und ein römischer Militärtrupp sind zum Garten Getsemani aufgebrochen, um Jesus festzunehmen. Gedalja führt die Wachen an, bei ihm ist auch ein gewisser Judas Iskariot. Ich bin auf halbem Weg umgekehrt. Ephrem allerdings folgt ihnen weiter und wird dich auf dem laufenden halten.«
    Josef gab dem Mann ein Geldstück, worauf er wieder verschwand. »Und das mitten in der Nacht!« platzte Nikodemus los. »Das zeigt nur, wie sehr sie Angst vor Jesus haben. Und Pilatus hat seine Leute mitgeschickt. Was das wohl zu bedeuten hat?«
    »Daß er nicht beabsichtigt, den Sanhedrin in dieser Sache frei schalten und walten zu lassen.«
    »Was machen wir nun?«
    »Am besten, wir legen uns ein wenig aufs Ohr. Sicher wird der Hohe Rat in aller Frühe zusammengerufen. Du kannst gerne hier schlafen, ich denke, das wird für dich bequemer sein.«
    Nikodemus stimmte zu, und Josef ließ ihm ein Lager mit Felldecken richten. Alle Lampen bis auf die in der Diele wurden gelöscht. In den Kohlebecken knisterte die Glut. Von der Kälte dieser Nisan-Nacht überrascht, hingen Spanner und andere Nachtfalter zu Hunderten an den weißgekalkten Wänden.
     
    Selbst die angeketteten Geparden im herodianischen Palast waren nach langem Strecken und Gähnen eingeschlafen. Die vier Wachposten am Tor standen so dicht wie möglich bei den Fackeln, um ein wenig in den Genuß ihrer Wärme zu kommen. Von Zeit zu Zeit fiel ihnen ein Tropfen Pech auf die Helme. Frierend traten sie von einem Bein aufs andere und wagten hie und da heimlich einen tüchtigen Schluck Wein aus einer Feldflasche, die sie unter dem Fenstersims versteckt hielten, was eigentlich streng verboten war. Sie achteten nicht darauf, daß wenige Schritte von ihnen entfernt eine Tür knarrte; wohl ein Koch, der spät nach Hause ging, nachdem er noch Geflügel gefüllt und einige Töpfe gescheuert hatte.
    Doch es war kein Koch. Ein junges Mädchen war es, dick in einen schweren Kamelhaarumhang eingemummt. Sie huschte flink an der Palastmauer entlang, bog um ein paar Straßenecken und blieb schließlich vor einer Tür stehen, an die sie dreimal kurz pochte. Die Tür öffnete sich, ein Diener erschien und verneigte sich, so tief er nur konnte. Das Mädchen kannte den Weg; behende sprang sie die Treppe zum ersten Stock hinauf.
    »Komm, Salome, komm nur herein!« sagte eine alte Frau, die auf einem Diwan zwischen zwei Kohlebecken saß. Eine schwere Granatkette hing um ihren faltigen Hals, ein königliches Schmuckstück, das davon zeugte,

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