Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
Vom Netzwerk:
Frau. Es gibt da einen anderen Grund.«
    »Was vermutest du?« fragte Kaiphas.
    Hannas kratzte sich am Bart. »Vielleicht will er Jesus gegen uns ausspielen und tatsächlich zum König von Judäa machen.«
    »Was?« rief Kaiphas ungläubig.
    »Ja, zu einem Vasallenkönig. Wie Herodes den Großen. Wie den Tetrarchen«, erklärte Hannas. »Bequem wäre das. Ein Mann, den man gleichzeitig zum König und zum Hohenpriester ernennt, würde vieles einfacher machen. Für Rom würde das den gesicherten Frieden bedeuten. Mach dir keine Illusionen, Kaiphas! Wenn man uns - bestenfalls — vor die Tür setzt, weint uns keiner nach.«
    »Willst du damit sagen«, murmelte Judas erschrocken, »daß Jesus wirklich König von Judäa und Hoherpriester werden könnte?«
    »Los, Judas! Die Würfel sind bereits gefallen«, drängte Gedalja. »Nein! Nicht!« flehte Judas.
    »Du willst wohl, daß wir dich sofort festnehmen lassen?« fauchte ihn Gedalja verächtlich an. »Vorwärts, habe ich gesagt!« Er stieß Judas vor sich her in die Nacht hinaus.
    Hannas und Kaiphas füllten ihre Becher nach.
     
    »Bist du dir auch sicher?« fragte Procula ihren Ehemann über die Obstschale hinweg, die zum Abschluß ihrer Mahlzeit gereicht wurde. »Bist du dir sicher, daß sie ihm kein Leid antun werden?«
    »Ich habe es dir doch schon gesagt: auf jeden Fall nicht, bevor sie ihn abgeurteilt haben.«
    »Und danach?«
    »Vielleicht werden sie ihn geißeln.«
    »Geißeln?« fragte Procula entsetzt. »Aber er ist doch kein Straßenräuber! Kannst du sie nicht daran hindern?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Pilatus gereizt. »Ich habe den Mann noch nicht einmal gesehen. Woher soll ich wissen, ob er es wert ist, ihn aus den Händen der Juden zu befreien und sich seinetwegen Ärger mit ihnen einzuhandeln?«
    »Aber gestern hast du noch gesagt...«, begehrte Procula auf.
    »Ja, ich habe gesagt, er könnte einen guten König von Judäa abgeben. Aber tut er das wirklich? Zuerst einmal muß ich ihn kennenlernen. Stell dir vor, er entpuppte sich nur als ein Schwärmer, einer dieser pythischen Juden, die nichts als Nebel und prophetische Verwünschungen im Kopf haben. Wozu dann seine Verteidigung übernehmen? Doch damit du zufrieden bist: Ich werde meine Einwilligung einzig und allein zur Geißelung geben; das wird ihn nicht umbringen.«
    »Die wollen ihn kreuzigen, Pilatus, und du weißt das sehr wohl. Kannst du das nicht verhindern?«
    »Wahrscheinlich schon«, erwiderte Pilatus und stand auf, um ans Fenster zu treten.
    »Wahrscheinlich?« rief Procula mit vor Empörung weit aufgerissenen Augen.
    »Du weißt, daß der Mann Gegenstand eines schweren Zwistes unter den Juden ist. Ich kann nicht ohne weiteres zu seiner Verteidigung ein-schreiten, ohne mit Unruhen rechnen zu müssen. Man kann einen Menschen einige Stunden lang am Kreuz hängen lassen und ihn dann heimlich herunterholen. Davon stirbt er noch nicht. Meine Soldaten haben manchmal schon weit Schlimmeres durchstehen müssen und haben es überlebt. Caius Sempronius, den du ja kennst, war schon mehrere Stunden lang mit dem Kopf nach unten an einem Baum aufgehängt und erfreut sich heute besserer Gesundheit als du und ich.«
    »Taub ist er geworden«, bemerkte Procula spitz.
    »Na gut, dann ist er eben taub geworden«, räumte Pilatus unwillig ein, während er sich zu seiner Frau umdrehte. »Sehen wir uns erst mal den Mann an, ja? Und hab Vertrauen zu mir!« Dann wandte er ihr wieder den Rücken zu und sah zum Fenster hinaus.
    Unten standen auf dem von Fackeln erhellten Vorplatz, der den Blick auf das in dunkle Schatten getauchte Tal des Kidron freigab, seine Soldaten Wache. Dahinter erhob sich die schwarze Masse des Ölbergs. Eine düstere Landschaft, heimgesucht von unbekannten Göttern. Oberflächlich betrachtet, ähnelte sie den Hügeln Roms. Doch im Grunde seines Herzens wußte Pilatus nur zu gut, daß nichts von alldem römisch war. Diese Finsternis hier hatte etwas Bedrohliches, sie war erfüllt von einer Kraft, die sein geradlinig denkender Geist nicht zu erfassen wußte. Ach, die Pest über den Orient! Eine Menge verrückter Geschichten hatte er schon zu hören bekommen. Zugegeben, die Leute, von denen sie gewöhnlich stammten, gehörten nicht unbedingt zu den größten Geistesleuchten. Jedenfalls waren es Geschichten, wie sie sich seine Soldaten an freien Abenden erzählten, wenn der griechische Wein zum Lammbraten mit Safran und der Duft von Reseda und Sandelholz ihre römische Logik umnebelten:

Weitere Kostenlose Bücher