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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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deine Amme schläft?«
    »Ich habe ihr Opium in den Wein gemischt«, erwiderte Salome lächelnd. »Um die jetzt aufzuwecken, wäre schon ein Gong nötig. Und wenn sie wirklich aufwacht, dann gebe ich ihr eben Rauteblätter.« Draußen lag Jerusalem mittlerweile unter einer hauchdünnen Schneedecke. Eine Ratte, die vor Salome über die Straße flitzte, hinterließ eine zarte Spur auf diesem jungfräulichen Schleier.
     

XXIV.
     
    Von Abend bis Mittag
     
    Jesus’ Hände zitterten unmerklich. Er war bleich. Die Tür, durch die Judas entflohen war, stand noch immer weit offen.
    »Kommt, essen wir, und essen wir rasch!« sagte Jesus. »Denn es könnte leicht sein, daß er mit der Tempelpolizei zurückkommt.«
    »Ein Verräter!« schnaubte Simon Petrus.
    »Laß mich ihn suchen gehen! Ich bringe ihn zurück, und wir binden ihn hier fest«, schlug Matthäus vor.
    »Zu spät«, meinte Jesus nur. »Komm und setz dich! Komm auch du, Johannes!« Er hob die Augen. »Der Menschensohn folgt also dem Weg, der ihm in den Schriften vorgezeichnet wurde. O Unglück für denjenigen, der ihn verraten hat, denn er wäre besser nie geboren worden.«
    Sie aßen wenig und ohne Appetit, die Augen ständig auf die Tür gerichtet.
    »Wie lange hast du ihn schon verdächtigt?« fragte Natanael.
    »Seit Philippus ihm seine alten Sandalen gebracht hat. Da nämlich wurde klar, daß er in Jerusalem gewesen war. Als Josef von Arimathäa einen von Matthäus’ Begleitern in Jerusalem wiedererkannt hatte, war ich mir sicher. Judas hatte mich belogen: Er hatte mich nicht in Betanien erwartet.«
    »Dann hätten wir ihn doch zum Schweigen bringen können«, warf Simon Petrus ein. »Noch vorhin hätten wir es tun können.«
    »Dazu war es bereits zu spät«, erwiderte Jesus. »Wenn ich ihn nach dem Essen bei Simon dem Aussätzigen weggeschickt hätte, wären uns vom Sanhedrin ganze Legionen von Wachen auf den Hals gehetzt worden. Nachdem aber Judas noch als einer der Unseren galt, konnte sich der Hohe Rat im festen Glauben wiegen, uns im Griff zu haben, und sich Zeit lassen.«
    Ihre Teller waren leer, die Schüsseln jedoch noch halb voll. Jesus nahm das Brot, das sie kaum angerührt hatten, brach es und verteilte es unter ihnen mit den Worten: »Nehmt dies! Das ist mein Leib.« Er füllte seinen Becher mit Wein und ließ ihn durch die Runde gehen. »Trinkt! Dies ist mein Blut, das Blut des Neuen Bundes, das vergossen wurde für euch alle. Ich sage euch, ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich ins Reich Gottes eingehen werde.«
    Einige von ihnen brachen in Tränen aus.
    »Meister, wir haben genug Zeit, um aus Jerusalem zu fliehen«, bat Simon Petrus. »Verschwinden wir so schnell wie möglich von hier! Sie werden uns niemals finden.«
    »Ich soll mich davonmachen wie ein Dieb? Nein, die Wahrheit muß ans Licht in der Stadt Davids und Salomons.«
    Dann stimmte er den Lobgesang zum Passah-Fest an, und sie folgten alle seinem Beispiel, ohne jedoch die Tür aus den Augen zu lassen. »Die Bediensteten werden sich um die Reste kümmern«, sagte Matthäus anschließend.
    Jesus erhob sich, las die Brotkrümel von seinem Gewand auf und aß sie. Johannes lief zur Tür, um sich draußen kurz umzusehen. Wenig später kam er mit der Meldung zurück, daß der Weg frei sei.
    Auf den Straßen wimmelte es von auswärtigen Besuchern, die Tavernen waren überfüllt. Als sie das Tal des Kidron in Richtung Ölberg gingen, rutschten sie immer wieder mit ihren Sandalen auf dem verschneiten Weg aus.
    »Warum verlassen wir eigentlich nicht einfach die ganze Gegend?« fragte Jakobus.
    »Du wirst sie noch früh genug verlassen, Jakobus, weil ihr alle nämlich den Glauben an mich verlieren werdet, denn es steht geschrieben: >Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen.<«
    »Meister«, protestierte Simon Petrus, »wenn sie auch alle den Glauben an dich verlieren, ich jedenfalls bestimmt nicht.«
    »Und ich sage dir, Simon Petrus, noch in dieser Nacht, bevor der Hahn kräht, wirst auch du mich dreimal verleugnen.«
    Sollten sie nach Betanien gehen oder nach Betfage? Judas Iskariot kannte beide Unterschlupfe; wenn die Wachen sie hier nicht fanden, würden sie sie dort suchen. War es vielleicht ratsam, sich ins Hinterland jenseits des Jordans zu flüchten? Sie waren steif vor Kälte und kamen immer langsamer voran. Bei der Ölpresse, die sich an den Hängen des Olivenhains befand, legten sie eine Pause

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