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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Handbewegung dem Sekretär und den Wachen ein Zeichen.
    »Er soll mit mir nach unten kommen.«
    Sie traten auf die erhöhte Terrasse, die in die Straße hineinragte und von einem Baldachin überspannt war. Die Menschenmenge drängte näher heran, wobei sich allerdings ein jeder hütete, die Mauern des heidnischen Palastes zu berühren, um sich nur ja nicht zu verunreinigen. Natürlich! Pilatus überflog die Szenerie mit einem Blick. Alles Rabbiner, Strohmänner und von den Sadduzäern bestochene Spitzel! Allein schon deswegen wollte er ihnen mit Freuden eins auswischen.
    Und schon hoben sie wieder an mit ihrem Gerufe und Gelärme. »Ruhe!« donnerte er grob über sie hinweg. Vom Zorn des Römers eingeschüchtert, verstummte die Menge. In ihrer Mitte stand Gedalja mit verkniffenem Mund.
    »Ich sehe«, spöttelte Pilatus, »ihr seid gekommen, um mich zu bitten, euren König freizugeben.« Mit der Hand wies er dabei auf Jesus, der mit gespannter Miene auf die Menge hinunterstarrte.
    Schreie, Pfiffe und erhobene Fauste waren die Antwort.
    »Ruhe!« befahl Pilatus erneut. »Was soll ich machen mit dem König der Juden?«
    Gedalja lief puterrot an. Die durchwachte Nacht und die Aburteilung des Gefangenen hatten seine Kräfte alles andere als erschöpft, sondern sogar noch aufgepeitscht. »Hör auf, uns zu beschimpfen!« rief er. »Dieser Mann da ist weder unser König noch überhaupt ein König! Ein Hochstapler ist er!«
    Pilatus bereitete es wahres Vergnügen, den sonst so gewandten Gedalja die Beherrschung verlieren zu sehen.
    »Kreuzige ihn!« schrie Gedalja nun. »Wir haben ihn zum Tode verurteilt, weil er unsere Religion in den Schmutz zieht.«
    Und die Rabbiner wiederholten: »Kreuzige ihn!«
    Immerhin, diese Leute konnten tatsächlich einen Aufstand auslösen, überlegte Pilatus. Und ein Aufstand war für keinen Prokurator ein Vergnügen. Zwar konnte man damit ohne weiteres fertig werden, doch Rom würde eine Untersuchung einleiten.
    »Warum? Was hat er eigentlich verbrochen?« fragte Pilatus.
    »Du verstehst unsere Religion nicht! Kreuzige ihn!«
    Pilatus drehte sich nach Jesus um. Doch der schien wie versteinert. Die Macht ergreifen und mit diesen Leuten umgehen müssen? Nein, niemals!
    »Es ist der Brauch, daß ich jedes Jahr zu eurem Fest einen Gefangenen freilasse«, sagte Pilatus. »Ich habe jetzt zwei Gefangene, diesen hier und Jesus Barabbas!« 11
    »Wer ist Barabbas?« wollte ein Rabbiner stirnrunzelnd wissen. »Ist das einer der unseren?«
    »Wer ist dieser Barabbas?« fragte auch Gedalja einen Leviten. Dieser zuckte mit den Achseln; er kannte ihn nicht; allein schon der Name schien fragwürdig.
    »Wen also soll ich freilassen, Jesus oder Barabbas?« fragte Pilatus. »Du kannst freilassen, wen du willst, vorausgesetzt, es ist nicht dieser Mann da«, antwortete Gedalja.
    Pilatus überlegte kurz und wandte sich dann an seinen Adjutanten: »Führe den Gefangenen ab! Man soll ihn geißeln.«
    Er sah Jesus an, doch als dieser ihm keine Beachtung schenkte, machte er kehrt und verschwand wieder im Palast.
    »Na also!« meinte ein Rabbiner zu Gedalja. »Wir haben uns durchgesetzt.«
    »So sicher ist das nicht. Er hat nicht Befehl gegeben, den Mann zu kreuzigen. Ich kehre zum Sanhedrin zurück, aber sag den anderen, daß sie sich um keinen Preis von hier wegbewegen dürfen. Es kann möglich sein, daß Pilatus die Straße dann von seinen Truppen besetzen läßt, und dann haben wir das Nachsehen.«
    Es war zehn Uhr morgens. Ein eisiger Wind hatte sich erhoben. Ge-dalja mußte niesen.
    »Los!« sagte ein Offizier zu Jesus und legte ihm die Hand auf die Schulter. Auch er versuchte, dem Blick des Verurteilten zu begegnen, doch es gelang ihm nicht. »Zieh dich aus!«
    Der Befehl hallte von den Mauern des Palasthofes wider. Jesus sah sich um. Die Soldaten beobachteten ihn mit feierlichem Ernst; ein Verbrecher wie jeder andere konnte der hier wohl nicht sein, da ihn Pilatus offensichtlich schonen wollte. Jesus hob den Kopf. Weder Angst noch Tränen; ein ungewöhnlicher Mann. Er zog sein Gewand, jenes nahtlose Gewand, das Maria für ihn gewebt hatte, aus und ließ es zu Boden fallen. Zwei Wachen stießen ihn zu einer Säule, die in der Mitte des Hofes wie ein toter Baumstamm aufragte, und banden seine Arme an diesem Pfeiler fest, der nie anderes als das Gewicht vergangener und künftiger Leiden zu stützen hatte. Ein Zischen, dann ein scharfer Schmerz, so als zerrissen mehrere Krallen gleichzeitig seine Haut auf dem

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