Ein Mensch namens Jesus
habe mich niemals als Messias bezeichnet«, erwiderte Jesus. »Wer bist du dann? Warum haben sie dich verurteilt?«
»Der Messias wird kommen.«
»So?« Pilatus kratzte sich am Bart. »Hör zu, ich habe keinerlei Anlaß, mich deinen Richtern gefällig zu zeigen und ihr Urteil vollstrecken zu lassen. Es ist mir wichtig, daß du das begreifst. Aber ich kann mich nicht mit deinen undurchsichtigen Antworten begnügen. Drück dich klar und deutlich aus!«
Jetzt konnte man verstehen, was sie unten riefen: »Tod dem Gotteslästerer!«
»Ich glaube, ich weiß, was du denkst!« sagte Pilatus. »Du denkst, wenn ich, der Statthalter von Judäa, dich laufenlasse, so muß es aussehen, als würde ich dich nur als politische Schachfigur benutzen. Aber mittlerweile müßte dir auch klargeworden sein, daß es hier um deinen Kopf geht.« Er erhob sich und ging zur Tür. »Sagt diesen Leuten da unten, sie sollen gefälligst Ruhe geben, oder sie bekommen es mit mir zu tun!«
»Das habe ich ihnen schon gesagt«, meldete ein Offizier auf dem Flur. »Aber es sind alles Priester. Sollen wir ihnen trotzdem den Knüppel verabreichen?«
Pilatus knurrte unwillig und schlug die Tür zu. Dann wandte er sich wieder an Jesus, der sich nicht gerührt hatte und folglich mit dem Rücken zu ihm stand. »Hör mir gut zu! Deinetwegen braut sich auf der Straße ein Aufruhr zusammen. Du tätest gut daran, eiligst ein Argument zu deiner Verteidigung zu finden. Wir können schließlich nicht den ganzen Tag hier so reden. Stammst du von David ab? Wenn dies der Fall ist, was im übrigen nützlicher wäre, als du denkst, dann sag es, aber sag es schnell! Ich kann dir die Freiheit wiedergeben, den Nachweis für deine Abstammung beschaffen wir dann später.« Pilatus ging im Raum auf und ab. »Rom hätte wohl nichts gegen einen legitimen König von Judäa einzuwenden.«
Jesus sah ihn an. Gerissene Schachzüge. Ehrgeizige Pläne. Gib mir eine Lüge und nimm die Krone! Und das vor den Augen des Herrn?
Ein Stein schlug ans Fenster. Ein- oder zweihundert bärtige Fanatiker standen da unten und wollten Blut sehen! Und all das, weil ihre alten Gewohnheiten gefährdet waren! Wenn in Rom jemand behaupten würde, er sei Jupiters Sohn... überlegte Pilatus. Nein, mit offenen Armen würde der nicht empfangen. Der Cäsar würde das sehr übelnehmen. Es lag ganz im Interesse der Götter, dort oben unter sich zu bleiben und keine Bastarde hervorzubringen. Sogar Herkules würde im Gefängnis landen. »Verflucht!« murmelte er auf aramäisch. Er riß die Tür auf. »Wache!« Alles um ihn her schrak zusammen. Ein Soldat trat vor. Pilatus dachte einen Augenblick nach. Dieser rätselhafte Jude würde keine ausschlaggebende Aussage machen, soviel stand fest, und er, Pilatus, hatte keine Lust, dem Sanhedrin einen Gefallen zu erweisen. Es mußte jetzt etwas unternommen werden. »Sorge dafür, daß zwanzig bewaffnete Männer vor der Gasse postiert werden.« Und zu Jesus gewandt: »Du hast also nichts zu sagen?«
»Ich bin unschuldig.«
Pilatus sah ihn ungläubig an. Unschuldig, ja, aber nicht im entgegengesetzten Sinne zu »schuldig«. War das wirklich der Mann, der den ganzen Sanhedrin zum Erzittern brachte?
»Deine Unschuld interessiert keine Menschenseele!« polterte Pilatus los. »Unschuld hat noch nie etwas gegolten vor den Interessen der Menschen und Völker.« Jetzt zählte jede Minute, und dieser Mann, dessen Leben auf dem Spiel stand, wußte nichts Besseres zu sagen, als daß er unschuldig sei! »Es geht um das Wohl deines Volkes, über das du in diesem Moment entscheidest. Willst du das Oberhaupt deines Volkes sein? Die Interessen Roms und die der Juden können unter einen Hut gebracht werden, wie es unter Herodes dem Großen ja bereits geschehen ist. Verstehst du mich?«
Jesus war wie vor den Kopf gestoßen. Hatten diese Leute denn für nichts anderes Sinn als für irdische Macht? Doch gleichzeitig stellte sich ihm eine weitere Frage: Hatte er demnach sein ganzes Leben lang nichts anderes getan, als seine eigene Opferung vorbereitet? Und zu welchem Zweck? Angst packte ihn, und er wußte nichts zu erwidern. Er glaubt mir nicht, ging es Pilatus durch den Kopf, er hält dies alles für eine Falle. Procula öffnete die Tür einen Spaltbreit und betrachtete Jesus hingebungsvoll, doch unter dem mißbilligenden Blick ihres Mannes zog sie sich rasch wieder zurück.
»Wir gehen jetzt hinunter«, verkündete Pilatus.
Er öffnete die Tür und machte mit einer brüsken
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