Ein Mensch namens Jesus
Rücken. Wieder ein Zischen — er erschauerte in Erwartung des Schmerzes — und wieder prasselten Qualen auf ihn nieder. Er wußte, es war eine neunschwänzige Peitsche, deren Enden mit Blei beschwert waren. Ein Krampf fuhr ihm durch den Rücken. Er stürzte mit dem Gesicht gegen den Pfeiler — seine Nase! Und schon wieder! Seine Nase blutete. Und wieder ein Zischen! Die Bleizacken gruben sich immer wieder in dieselben Wunden. Er keuchte. Er brach zusammen, die Knie hatten nachgegeben. Die Schläge trafen nun seine Schultern. Dann wurde alles dunkel um ihn herum. »Einundzwanzig!« sagte jemand.
Er wand sich auf dem gefrorenen Erdboden. Man hatte ihn losgebunden. Er stürzte der Länge nach hin. Sie gossen einen Eimer Wasser über ihn. Kälte durchbohrte ihn. Er öffnete die Augen und setzte sich ganz langsam auf. Alle standen sie im Kreis um ihn hemm. »Wasser«, bat er.
Man schenkte ihm einen Becher voll ein, dann noch einen. Die Zähne klapperten ihm so sehr, daß er die Hälfte des Wassers über seine Brust verschüttete. Ihm war kalt, so kalt... Er kroch zu seinem Gewand und mühte sich, auf dem Boden sitzend, ab, es überzustreifen. Und trotz all der Kälte brannte der Rücken wie Feuer. »Vater...«, stammelte er, und in den Falten seines Gewandes, das ihm zur Hälfte noch um den Kopf hing, verloren sich seine Stimme und das Gebet, das er sprach.
»Manche sagen, er sei ein König«, meinte ein Soldat.
Jesus sah zu ihm auf und schüttelte den Kopf.
»Er scheint uns zu verstehen geben zu wollen, daß er kein König ist«, überlegte der Soldat.
»Haben sie ihn deswegen abgeurteilt?« wollte ein anderer wissen. Pilatus’ Adjutant trat heran und nahm Jesus in Augenschein. »Sobald er sich auf den Beinen halten kann, bringt ihr ihn zu Herodes. Befehl des Prokurators.«
»Ein König besucht einen Tetrarchen«, bemerkte lakonisch ein Soldat.
Es gelang Jesus nicht, sich aufrecht zu halten; sie mußten ihn stützen. Gefolgt von den neugierigen Rabbinern und anderem Volk, bewegten sie sich an der nördlichen Stadtmauer entlang. Die Gallier, die am Tor zum Neuen Palast Wache standen, blickten überrascht auf, als der kleine Zug sich näherte. Man ging, den Tetrarchen darüber in Kenntnis zu setzen.
»Vater...«, flüsterte Jesus wieder. Er lehnte sich gegen die Mauer. Doch man faßte ihn unter den Schultern, um ihn zu Herodes hinaufzubringen.
»Sie haben ihn ganz schön zugerichtet«, murmelte der Tetrarch. »Ich hätte nicht gedacht, daß Pilatus so weit gehen würde.«
»Das hat er nur getan, um ihm das Kreuz zu ersparen«, raunte Manassah ihm zu.
»Gebt dem Mann stark verdünnten Met und Brot! Und helft ihm beim Essen!« ordnete Herodes mit lauter Stimme an.
Die Diener kamen dem Befehl beflissen nach. Jesus trank den Met. Der Becher fiel ihm aus den Händen. Er zwang sich, ein wenig Brot zu essen... Und danach? Wozu eigentlich? Diejenigen, die ihm zu helfen suchten, konnten nicht verstehen; der Wille des Herrn hatte seinen Lauf genommen.
»Kannst du mich hören?« fragte Herodes, der vor Jesus Aufstellung genommen hatte. »Kannst du sprechen?... Hör zu, weder der Prokurator noch ich beabsichtigen, dem Sanhedrin Genüge zu leisten. Um dein Leben zu retten, brauchst du nur zu sagen, daß du über deinen Vater von David abstammst, denn ich weiß, daß dein Vater dem Stamm Davids angehörte. Wir, das heißt, der Prokurator und ich, veranlassen dann dein sofortiges Verschwinden aus Jerusalem und setzen uns später dafür ein, daß dir die Herrschaft über Judäa zukommt. Die judäische Krone. Verstehst du, was ich sage?«
»Pilatus hat mir dasselbe Angebot gemacht«, brachte Jesus endlich hervor. »All das führt zu nichts. Ich verlange kein Königreich.«
»Mit dem Königreich kommt auch das Amt des Hohenpriesters«, sagte Herodes, »und das weißt du. Das ist doch das, wonach du immer gestrebt hast? Du hast es fast erreicht. Du hast Angst gesät unter die Mitglieder des Sanhedrin.«
»Ich will nicht«, sagte Jesus abermals. Die ausgestandenen Qualen hatten seine Stimme rauh und hart gemacht. »Ich wurde geschickt, um...« Er rang nach Luft. »... um zu verkünden, daß Sein Reich gekommen ist. Du kannst mir nicht helfen.«
»Wer hat dich geschickt?« wollte Herodes wissen. An seinem vorgereckten Hals pulsierten die Adern. »Wovon sprichst du? Du hast alle Kräfte in diesem Land erschüttert. Wenn das nicht weltlich und konkret ist!«
»Ich habe vielen meine Lehre verkündet, doch wenige haben mir
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