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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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serviert.
    »Ist das nicht merkwürdig?« meinte der Grieche.
    »Vielleicht war es besser so, daß er verschwunden ist«, sagte Immanuel. »Vielleicht war ein Messias in diesem Land nicht willkommen.«
    »Ich habe ihn reden gehört, diesen Jesus, weißt du, ein- oder zweimal. Er war sogar hier in dieser Stadt, vor drei Jahren. Ich bin Kaufmann in Skythopolis und reise oft nach Ptolemais in Phönizien, um Waren, Gewürze und wertvolle Hölzer einzukaufen. Da mache ich dann immer Zwischenstation in Tiberias oder Kafarnaum. Wie ich schon sagte, ich habe ihn also reden gehört. Er war in manchen Dingen kein sonderlich überzeugender Redner, zu unverständlich und zu anspruchsvoll für die Leute von der Straße. Ich habe den Eindruck, daß seine Botschaft nicht angekommen ist, sonst hätte er viele Menschen hinter sich gehabt, die ihn verteidigt hätten, und er wäre nicht gekreuzigt worden.«
    Immanuel trennte mit der Messerspitze das Fleisch des Barsches von den Gräten. Er nickte leicht mit dem Kopf, zum Zeichen, daß er dem Mann zuhörte, der offenbar recht redselig war.
    »Ich habe das Gefühl, daß dieser Jesus ungeschickt vorgegangen ist. Verzeih, wenn ich von Dingen rede, die mich im Grunde nichts angehen, da ich ja kein Jude bin, aber ich lebe in diesem Land seit vielen Jahren und glaube die Juden zu kennen. Sie sagen, sie wollen eine Veränderung, was sie dabei aber tatsächlich fordern, ist die Rückkehr zu ihren alten Lebensumständen. Die Juden sehnen sich danach, wieder zu leben wie zu Zeiten ihres Königs David, nur ist das eben nicht mehr möglich, jetzt wo die Römer die ganze Welt beherrschen. Nun, und da haben sie dann in diesem Jesus ihren König und Messias gesehen. Er aber wollte kein König sein. Sie haben außerdem geglaubt, daß er den Hohenpriester in Jerusalem entthronen würde, aber er wollte auch kein Hoherpriester sein. Deshalb haben sie sich von ihm abgekehrt.« Immanuel kaute gedankenverloren vor sich hin.
    »Eine tragische Situation war das«, fuhr der Grieche fort. »Hier die Juden, die nach einer nicht realisierbaren Freiheit strebten, dort ein Heerführer, der seine Truppen nahezu zum Sieg geführt hatte und dann plötzlich auf die Macht verzichtete.«
    Seine beiden Freunde nickten beifällig mit dem Kopf.
    »Wenn Sophokles Zeuge der Geschichte dieses Jesus geworden wäre, er hätte eine schöne Tragödie darüber geschrieben! Mit dem Titel >Die Juden< zum Beispiel.«
    »Dieser Jesus war also mit Blindheit geschlagen«, sagte Immanuel schließlich.
    »Ich sehe nicht, wo seine Lehre hätte hinführen sollen«, antwortete der Grieche. »Eine uralte Geschichte ist das, wie sie sich da abgespielt hat. Die Menschen wollen ihre Freiheit, doch sie wollen auch mächtige Staaten und fühlen sich gedemütigt, wenn diejenigen, die sie regieren, besiegt werden. Sie wollen also Tyrannei und Freiheit. Jesus predigte die Liebe zu Gott und die Freiheit, während die Juden doch nichts anderes im Sinn hatten, als wieder einen mächtigen Staat zu bilden.«
    »Du meinst, man kann nicht gleichzeitig Gott und seine Heimat lieben?« fragte Immanuel, der mittlerweile seine Mahlzeit beendet hatte.
    »Nein, ich glaube, daß das nicht möglich ist«, meinte der Grieche plötzlich sehr ernst. »Die Götter sind die Feinde einer jeden Heimat. Die ersten Juden haben das doch an der eigenen Haut erfahren. Gewiß war es ihnen während ihrer Zeit in Ägypten klargeworden. Vielleicht hast du von jenem unglückseligen Pharao Echnaton gehört, der das gesamte ägyptische Pantheon durch einen einzigen Gott, durch Aton, ersetzen ließ. Er verehrte diesen alleinigen Gott, wie die Juden den ihren verehren. Und was geschah? Sein Reich ist langsam zugrunde gegangen, und Echnaton hatte den Verlust ganzer Provinzen zu beklagen. Erst als einer seiner Nachfolger das alte Pantheon mitsamt einer scheinheiligen Priesterschar wieder ins Leben rief, wurde Ägypten von neuem ein mächtiges Land.«
    Immanuel sah zu seinem Gegenüber auf. Aus seinen Augen sprach solch dumpfe Bitterkeit, daß der andere erschrak. »So. Die Götter sind also die Feinde des Menschen«, sagte er und fügte nach einer Weile hinzu: »Aber wie kann man nur ohne Gott leben?«
    Der Grieche, immer noch betroffen, antwortete nicht.
    Immanuel zahlte und verließ die Taverne. Er ging zum Seeufer hinunter. Die Fischer, die am Morgen ausgefahren waren, hatten ihre Netze eingeholt, die Boote an Land gezogen und ihre Fische verkauft. Einige, die erst am Abend auf Fischfang

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