Ein Mensch namens Jesus
gegenüber; sein Gesicht war aschfahl.
»Wer hat als erster das leere Grab entdeckt?« wollte Kaiphas wissen. »Eine Frau namens Maria Magdalena, eine engere Verwandte von Maria, der Witwe des Kleophas. Angeblich ging sie zum Grab, um dort zu beten, fand es aber offen vor und daneben die Wachen in völlig apathischem Zustand. Sie war zu Tode erschrocken und wandte sich an zwei Männer, die sich in der Nähe aufhielten und von denen sich herausstellte, daß sie zu Jesus’ Jüngern gehörten, ein gewisser Simon Petrus und ein Johannes, der ein Großneffe von Hannas sein soll. Die beiden sind daraufhin ebenfalls zum Grab gelaufen, um sich von dem, was sie ihnen erzählt hatte, zu überzeugen. Dann hat sie Maria, die Witwe des Kleophas, und auch Jesus’ Mutter davon unterrichtet. Fünfhundert Menschen sind im Augenblick auf dem Golgota zusammengeströmt. Ich habe die Wachposten ablösen lassen, aber das nützt natürlich nichts mehr.« Gedalja rieb sich nervös das Gesicht.
»Und die Wachen, was sagen die?«
Gedaljas Miene verfinsterte sich. »Einer von ihnen hat mir ins Gesicht gespuckt«, gestand er schließlich. »Sie haben beide den auferstandenen Jesus gesehen. Mehr war aus ihnen nicht herauszuholen.«
»Jesus ist auferstanden, hat die beiden Grabsteine von innen weggewälzt und ist in der Nacht verschwunden?« rief Kaiphas.
»Natürlich nicht. Die Wachen sind todsicher bestochen worden. Aber sie müssen immerhin etwas Ungewöhnliches gesehen haben, das ihnen den Verstand geraubt hat. Sie hatten ihre Rüstung zu Boden geworfen, ihre Kleider zerfetzt, und als ich sie ablösen ließ, brüllten sie laut auf und rangen vor aller Welt die Hände. Es ist also sehr wahrscheinlich, eigentlich sogar sicher, daß sie irgend etwas gesehen haben, was sie völlig verstört hat, und daß es sich dabei um den lebendigen Jesus handelte.«
»Den lebendigen Jesus«, wiederholte Kaiphas niedergeschmettert. »Ja«, nickte Gedalja. »Er blieb nur fünf Stunden am Kreuz, und die Schienbeine wurden ihm nicht gebrochen. Auf Anordnung von Pilatus. Am Nachmittag, um die fünfte Stunde, hat ein Sondertrupp Legionäre unter dem Kommando eines Offiziers die Tempelpolizei samt Henker und seinen Helfern vom Golgota verjagt. Unsere Leute mußten sich notgedrungen den Anweisungen des Prokurators beugen. Der Henker kam sich beschweren, daß die Römer ihm unter Strafandrohungen befohlen hätten, heute morgen, am heiligen Sabbat, die Leichen, allerdings eben nur die Leichen der beiden Räuber, zu begraben.«
»Das war mir bekannt«, meinte Kaiphas, »aber ich hatte angenommen, daß die Römer uns lediglich ärgern wollten, indem sie den geplanten Ablauf der Kreuzigungen und Bestattungen behinderten. Das hat aber nichts mit der Tatsache zu tun, daß Jesus am Leben ist.«
»O doch«, widersprach Gedalja, »das war alles Teil einer Verschwörung. Wenn Jesus die Schienbeine nicht gebrochen worden sind, so deshalb, um ihm die größtmöglichen Überlebenschancen zu verschaffen. Das Begräbnis, das Josef von Arimathäa und Nikodemus in Szene gesetzt haben, war reine Komödie. Der Mann lebte, als unsere beiden ehrenwerten Ratsmitglieder ihn in die Gruft legten. Sie wußten sehr wohl, daß sie ihn wenige Stunden später dort wieder herausholen würden.«
»Demnach stecken Josef von Arimathäa und Nikodemus mit Pilatus unter einer Decke? Das ist ja unglaublich!« fuhr Kaiphas wütend hoch. »Schaff mir Josef von Arimathäa herbei! Hier und sofort soll er verhört werden! Wir werden ihn aus dem Sanhedrin hinauswerfen oder...«
»Josef von Arimathäa hat Jerusalem gestern verlassen, und aus dem Sanhedrin ausgeschlossen zu werden ist gewiß seine geringste Sorge. Wer sollte ihn außerdem hinauswerfen?«
»Wie meinst du das?«
»Wir müßten über ihn Gericht halten. Und ich würde mich hüten, die Ratsversammlung über ihn richten zu lassen.«
»Weshalb?«
»Heute morgen haben mich sechs der Ratsmitglieder, die sich für die Todesstrafe ausgesprochen haben, gefragt, ob wir nicht nach dem Passah-Fest eine Bußwoche verhängen sollten, da wir doch offensichtlich den Mann verurteilt haben, der der Messias ist. Und es gibt sicher noch mehr, die der Meinung sind, daß wir einen Fehler begangen haben. Alle Welt glaubt an Jesus’ Auferstehung von den Toten. Bethyra hat sich persönlich auf den Golgota begeben, die Grabwachen gesehen und daraus geschlossen, daß sie unter dem Eindruck eines übernatürlichen Ereignisses stehen.«
»Also war die
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