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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Erfahrungen als Redner erwarb. Verglichen mit seinen Lehren wirken die Schriften der Essener so knochentrocken und langweilig wie das Bürgerliche Gesetzbuch. Die Essener hatten ja keinen Grund, ihre Rhetorik zu pflegen; sie überließen die anderen Juden ihrem schrecklichen Schicksal, dem sie ihrer Meinung nach nicht entrinnen konnten, und erwarteten stündlich den Weltuntergang. Als im Jahre 31 vor unserer Zeitrechnung ein fürchterliches Erdbeben Palästina erschütterte, das rund dreißigtausend Menschenleben forderte und in Qumran den Turm und die Zisternen zerstörte, glaubten sie schon, das Ende sei gekommen, und zerstreuten sich in der Wüste; nur war es bekanntlich dann eben doch noch nicht soweit gewesen.
    Ich habe zuvor schon erwähnt, daß Jesus’ Lebensabschnitt »in der Wüste« — in diese Phase fallen unter anderem wahrscheinlich auch seine Lehr- und Wanderjahre im östlichen Mittelmeerraum — einen Zeitraum von ungefähr zwanzig Jahren umfaßt. Diese Schätzung mag den Leser überraschen, der, wenn er nachrechnet und zwanzig mit vierzehn oder fünfzehn addiert, auf ein Lebensalter von etwa fünfunddreißig Jahren kommt, während doch gewöhnlich behauptet wird, Jesus sei mit dreiunddreißig Jahren gestorben. Irgend etwas kann also nicht stimmen, wenn er mit fünfunddreißig erst an die Öffentlichkeit getreten sein soll, um dort schätzungsweise drei Jahre lang zu wirken. Wie großzügig die Evangelien geschichtliche Tatsachen auch handhaben mögen — zum Beispiel sprechen sie vom »König Herodes« und meinen damit Herodes Antipas, einen Sohn des Königs Herodes des Großen, obwohl Herodes Antipas doch nur Tetrarch von Galiläa und Peräa war —, sie enthalten trotzdem einige Fakten, die sehr brauchbare Anhaltspunkte liefern, auch wenn sie einigermaßen verzerrt festgehalten wurden. Zwei Angaben dieser Art deuten darauf hin, daß Jesus höchstwahrscheinlich im Jahr 7 vor unserer Zeitrechnung zur Welt kam.
    Die erste findet sich bei Lukas: »Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter von Syrien war. Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließ, ein jeglicher in seine Stadt« (2, 1-3). Lukas oder sein späterer Kopist bringen jedoch die Daten durcheinander, denn an anderer Stelle behaupten sie, daß damals Herodes der Große über die Juden herrschte. Nun ist aber Herodes der Große im Jahre 4 vor unserer Zeitrechnung gestorben, und die Römer konnten keine direkte Zählung verlangen, bevor Judäa nicht ordnungsgemäß zu einer römischen Provinz wurde, was erst im Jahre 6 ein trat, also zehn Jahre später. Und P. Sulpicius Quirinius, der nur von 8 bis 2 vor unserer Zeitrechnung über Syrien regiert hatte, war dann nicht mehr Legat von Syrien. Folglich hat im Jahr 1 der christlichen Zeitrechnung keine Volkszählung stattgefunden.
    Von noch größerer Bedeutung ist die Tatsache, daß Judäa zu Lebzeiten Herodes’ des Großen, der Quirinius übrigens freundschaftlich verbunden war, keine Steuern an Rom zahlen und auch keine Soldaten stellen mußte. Rom hatte sogar darauf verzichtet, Garnisonen in Judäa zu halten, um jenen Vasallenkönig zufriedenzustellen, weshalb nicht einmal durchziehende Truppen dieses Gebiet belästigen sollten.
    Richtig aber ist, daß Quirinius im Lauf seiner zweiten Amtszeit, nach dem Tod Herodes’ des Großen, im Jahre 7 unserer Zeitrechnung eine Steuer in Judäa erhoben hat, und daß diese Erhebung ein denkwürdiges Ereignis war, weil dadurch ein Aufstand der im Untergrund operierenden Sikarier losbrach, der daraufhin blutig niedergeschlagen wurde, wie Josephus Flavius berichtet. Doch, wie gesagt, Herodes der Große war im Jahre 7 schon seit elf Jahren tot; Lukas hingegen behauptet, die Volkszählung habe unter der Herrschaft Herodes’ des Großen stattgefunden. Der Text seines Evangeliums, der gerade diesbezüglich zum Gegenstand zahlloser Erläuterungen und Kommentare wurde, ist folglich irreführend: Augustus hat zu Lebzeiten Herodes’ des Großen keine Volkszählung angeordnet.
    Allerdings ist allgemein bekannt, daß Augustus gelegentlich die Dienste verbündeter und vor allem tributpflichtiger Staaten, etwa Palästina, in Anspruch nahm. Daher rührt auch meine Erfindung des Legaten, der eine Reise unternimmt, nur um den Potentaten zu bitten, seinen Beitrag zu den Ausgaben des Imperiums zu leisten. Wann

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