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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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älter, es sind die Essener. Auch sie sind Extremisten, und sie glauben noch stärker als die anderen an die Schlechtigkeit der materiellen Welt. Das Warten auf die Endkatastrophe, von der ich dir erzählt habe, auf die Apokalypse, ist für sie die einzig mögliche Verhaltensweise. Diese Apokalypse findet statt, wenn ihr guter Gott Jahwe die materielle Welt zerstören und den bereis erwähnten schlechten Gott Satan besiegen wird, der, nebenbei gesagt, früher ein Getreuer des guten Gottes gewesen, dann aber nach seiner Auflehnung in Ungnade gefallen sein soll. Für mich liegt es auf der Hand, daß eine solche Geisteshaltung über kurz oder lang unweigerlich zu einem gewaltigen Aufruhr führen muß.«
    »Wenn ich dich richtig verstanden habe, sind die Zeloten und Essener Gnostiker«, meinte Ion. »Aber mir ist der Begriff >Gnostiker< noch immer nicht recht klar.«
    »Das ist ganz einfach. Die Gnostiker glauben, die Wahrheit könne nicht durch den Verstand erlangt werden, sondern nur durch einen Glaubensakt, der den Verstand außer Kraft setzt.«
    »Aber hast du mir nicht einmal gesagt, daß es weit im Osten Menschen gibt, die ebenfalls denken, die Wahrheit könne nur auf diese Weise erlangt werden?«
    »Ja, das sind die Schüler des Philosophen Buddha. Ich vermute übrigens, daß der Gnostizismus im Osten seinen Ursprung hat. Eigentlich ist es nicht überraschend, daß die Juden eine gnostische Ader haben, da sie vor mehreren Jahrhunderten von dort kamen. Wie dem auch sei, selbst wir Griechen sind vom Gnostizismus angesteckt.«
    »Du widersprichst dir. Vorhin noch hast du unsere Götter dem jüdischen Gott gegenübergestellt...«
    »Ja, ja, aber es gibt trotzdem einen Zug, der uns gemeinsam ist, und das ist die Illusion zu glauben, es gebe eine höchst eindeutige und unabänderliche Wahrheit, zu der man mit einer gewissen Anstrengung gelangen kann. Die gnostischen Juden meinen, daß diese Anstrengung im Glauben zum Ausdruck kommen muß, dagegen denken die Griechen oder zumindest einige von ihnen, daß dies der Verstand bewältigen muß. Nimm zum Beispiel Platon. Er nimmt gewiß nicht an, daß man die Wahrheit durch eine Erleuchtung erlangen kann, doch er glaubt, daß absolut gute und absolut schlechte Dinge existieren.« Eukrates lehnte sich wieder an die Reling, um die Wellen zu beobachten, die seine Stimmung auszudrücken schienen.
    »Und jener Held, den du dir neulich, als wir in Jerusalem spazierengingen, vorstelltest?« fragte Ion. »Welchen Platz nimmt er in deiner Theorie ein?«
    »Er paßt hervorragend in meine Theorie. Er wird jung sein und schön, und man wird ihn mit den schlimmsten Aufgaben betrauen, genau wie unseren Herakles. Armer Herakles!« rief Eukrates. »Was mußte er nicht alles vollbringen! Und am Ende wurde er von seiner eigenen Frau, Deianeira, besiegt, weil sie eifersüchtig war auf eine Jungfrau — eine eher bescheidene Belohnung für seine Mühen — , die er unvorsichtigerweise mit nach Hause gebracht hatte. Die Qualen, die unser Held erlitt, nachdem er jene giftgetränkte Tunika angezogen hatte, waren so unerträglich, daß er beschloß, seinem Leben auf einem Scheiterhaufen ein Ende zu setzen. Und seine prachtvollen Muskeln schmolzen in den Flammen!«
    Ion und Eukrates lachten schallend.
    »Wie du die Geschichte erzählst!« sagte Ion.
    »Tja, auch unser Held der Juden wird mit tausend undankbaren Aufgaben betraut werden. Er wird sie erfüllen, und dann wird man auch ihn ganz sicherlich töten.«
    »Das ist ja deprimierend! Gibt es denn keine triumphierenden Helden?«
    »Aber nein, ein Held ist jemand, der sich für das Gemeinwohl aufopfert. Man darf einen Menschen, dem alles gelingt, was er unternimmt, nicht als Vorbild hinstellen. Das wäre gefährlich. Überleg doch einmal! Jeder wäre gerne so ein Held, und alles ginge drunter und drüber. Außerdem taugt eine so bewundernswerte Persönlichkeit besonders gut zur Opfergabe. Den Gottheiten einen Stier opfern, was ist das schon? Aber ihnen einen Helden zum Opfer darbringen, daran müssen die höchsten Mächte doch Gefallen finden! Unser jüdischer Held wird unweigerlich geopfert werden wie ein Stier, ein Lamm oder eine Taube. Dann kann man sein Andenken in Ehren halten, einen Kult schaffen...«
    »Wird den Helden denn niemals bewußt, daß sie benutzt werden?«
    »Aber ja, ganz bestimmt! Doch das typische für einen Helden ist sein Glaube an die eigene Unsterblichkeit. Er läßt sich opfern. Sein Stolz siegt. Unser Held wird sich ganz

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