Ein Mensch namens Jesus
Kind«, sagte Gedalja. »Wer aber sollte den Tempel belagern?« Und da er keine Antwort erhielt, wiederholte er beinahe spöttisch: »Wer sollte denn den Tempel belagern?«
Dieser Ton brachte Jesus in Harnisch. Bis jetzt hatte er es mit zwei ernsthaften Gesprächspartnern zu tun gehabt, aber dieser hier war eitel. Er atmete tief durch und sagte: »Städte können auch von innen belagert werden.«
Das selbstgefällige Lächeln verschwand aus Gedaljas Gesicht, dafür zeichnete es sich jetzt auf Mattathias’ und Ebenezers Miene ab. Gedalja neigte sich zu dem Jungen hinunter und fragte scharf: »Was willst du damit sagen?«
»Braucht der Herr eine Festung? Braucht er einen Palast? Je höher die Mauern sind, desto größer ist die Zahl der Feinde. Dieser Tempel ist eine Festung. In den Büchern steht geschrieben, daß alle Festungen zu Staub zerfallen werden, aber daß allein der Ruhm Jahwes unbeschadet bleibt.«
»All das gibt keinen Sinn!« rief Gedalja aus. »Wie willst du Priester werden, wenn du dummes Zeug redest?«
Jesus bekam es mit der Angst. Er fragte sich, wann und wie er sich aus dieser mißlichen Lage befreien könne.
»Denk doch ein bißchen nach!« fuhr Gedalja fort, der sich wieder beruhigt hatte. »Sollen wir denn keinen Tempel haben? Oder sollen wir uns mit einer Lehmhütte begnügen?«
Jesus war müde, verwirrt; er ließ den Kopf hängen. Ja, der Herr selbst hatte Salomon beauftragt, den ersten Tempel zu errichten. Aber diesen hier? Er schwieg so lange, daß die drei Priester und Jonathan befürchteten, er könne unter einem plötzlichen geistigen Ausfall leiden. Schließlich hob er den Kopf und sagte mit leiser und trauriger Stimme: »Wo ist der neue Salomon?«
Wieder blickte er zur Tür; ein Menschenauflauf hatte sich draußen gebildet. Er erkannte seinen Vater und seine Mutter, wie auch diejenigen, die man seine Brüder nannte.
Josef trat als erster heran. »Wo warst du?« fragte er vorwurfsvoll. »Wir haben dich in ganz Jerusalem gesucht! Warum hast du uns das angetan?«
»Ihr hättet wissen müssen, daß ich im Hause meines Vaters bin«, sagte Jesus.
Alle sahen ihn betroffen an.
»Ist das dein Sohn?« fragte Ebenezer. »Hast du ihm Unterricht erteilt?«
»Ja«, erwiderte Josef kurz angebunden.
Gedalja musterte Josef scharf und runzelte die Augenbrauen. »Ich glaube, dich zu kennen«, sagte er. »Bist du nicht Josef aus dem Geschlecht Davids? Bist du nicht Josef aus Bethlehem, Sohn des Jakob? Warst du nicht vor dreizehn Jahren hier Priester? Hast du nicht beim Bau des Tempels mitgearbeitet? Du bist doch nach der Hinrichtung Alexanders und Aristobuls aus Jerusalem geflohen.«
Da blickte Jesus seinen Vater erstaunt an. Er hatte also an der Errichtung dieses Tempels mitgewirkt! Und warum wünschte er nun dessen Zerstörung?
»Ja«, antwortete herausfordernd Josef.
»Nun wird alles klar«, sagte Gedalja.
»Es war längst alles klar«, sagte Josef, nahm seinen Sohn an der Hand und zog ihn zum Ausgang.
»Das Kind hätte trotzdem einen guten Priester abgegeben«, murmelte Gedalja.
Niemand achtete auf seine Worte.
XI.
Noch ein Gespräch der beiden Griechen, diesmal auf einem Schiff
»Man hat nie genug Geld«, seufzte Ion, nachdem ihr Schiff von Aschkelon aus in See gestochen war. »Da ich nun schon einmal so weit gekommen bin, hätte ich auch gern einen Abstecher nach Ägypten gemacht. Aber dazu müßte ich Schulden machen, und das schätzt mein Vater nicht sehr.«
Plötzlich wurde es laut an Bord, da der Kapitän über die Art, wie einige Waren im Laderaum verstaut waren, Unmut äußerte. Besonders mißfiel ihm, wie die Weinamphoren aus Galiläa untergebracht waren. Die Matrosen aber beklagten sich, daß die Träger, in denen die Tonkrüge transportiert werden sollen, verfault waren. Dann verklang der Streit in den Magazinen, in die der Kapitän hinuntergestiegen war, um eine Lektion über die Kunst des Verstauens zu erteilen. »Mein lieber Ion«, bemerkte Eukrates, an der Reling lehnend, »du hast genügend Skulpturen, Elfenbein- und Korallenschmuck, Sandelholz, syrische Seidenwaren, Perlen und Parfüms gekauft, um nach deiner Rückkehr ein Geschäft aufzumachen. Mit dem Geld, das du dafür ausgegeben hast, wärst du leicht bis zu den Säulen des Herkules gelangt. Wir haben immerhin Pergamon, Zypern, Antiochia und Jerusalem gesehen... Und in Tyrus hast du ein sehr kostspieliges Fest gegeben, dessen Ausschweifungen dich anschließend zwei Tage lang ans Bett gefesselt
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