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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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beherrscht. Merkst du, was das bedeutet?«
    »Nein«, antwortete Ion.
    »Es bedeutet, daß die Juden ihr Weltbild schrecklich vereinfacht haben: Das Gute ist oben, das Böse unten. Infolgedessen haben sie die ganze Vielseitigkeit der Welt aus ihren Köpfen verbannt. Und das ist genau das Gegenteil dessen, wonach der menschliche Geist streben sollte. Nun, eine derartige Vereinfachung bedeutet auch, daß alle irdischen Unterfangen verflucht sind. Letztendlich geht immer Satan als Gewinner hervor. Und die Juden glauben tatsächlich, daß das Leben auf der Erde von satanischen Fallen geradezu wimmelt. Sie haben deshalb ein kompliziertes System von Ermahnungen und Hintertüren zur Umgehung dieser Fallen geschaffen. Daher rühren auch ihre grimmigen und freudlosen Gesichter. Alles, was ihnen fremd ist, wird verdächtigt, ein Werk des Teufels zu sein. Während sich die meisten Menschen für andere Religionen interessieren — und sei es auch nur in der Hoffnung, wirksameren Göttern als den eigenen die Ehre zu erweisen — , haben sich die Juden in ihrem Glauben eingeschlossen und betrachten alle anderen Religionen als teuflischen Kult.«
    »Es stimmt, daß man uns nicht gerade freundlich empfangen hat«, gab Ion zu.
    »Freundlich empfangen? Daß ich nicht lache! Wenn wir die Absperrung im Vorhof der Heiden mißachtet hätten, wie du im Tempel von Jerusalem vorgeschlagen hast — weißt du, was uns dann geblüht hätte? Man hätte uns einfach getötet, und die Römer wären uns sicher nicht zu Hilfe gekommen. Kurzum: Schau dir doch die derzeitige Lage in Palästina an! Die Juden werden von den Römern beherrscht. Eine unerträgliche Situation. Der Teufel gewinnt eben immer. Sie können aber nicht mit den Römern unterhandeln, ohne als Abtrünnige zu gelten, was entsetzlich wäre, weil sie dann auch die zweite Runde verlieren würden, nämlich jene, die sich im Jenseits abspielt, wenn sie vor Gottes Angesicht treten. Sie durchleben große Qualen: Einerseits können sie die Römer, die ihnen militärisch überlegen sind, nicht besiegen, und andererseits können sie es nicht ewig ertragen, unter den Bedingungen des Teufels zu leben. Was tut man also in solch einer Situation? Man strebt eine Katastrophe an, eine Katharsis, eine Tragödie, die der Beklemmung ein Ende setzt. Der Schlußakt sieht so aus: Diejenigen, die gewinnen müssen, gewinnen. Die anderen verlieren. Sie sind offensichtlich zum Verlieren berufen, und das wissen sie. Aber das kümmert sie nicht. Wenn sie in einem heiligen Krieg gegen die Armeen des Bösen sterben, werden sie im Jenseits durch die Gunst des guten Gottes belohnt. Ihr Tod wird folglich ein guter Tod sein, und sie richten ihr Leben nahezu auf ihn aus.«
    »Das wäre das erstemal, daß jemand einem Gott sein eigenes Leben opfert«, bemerkte Ion und schaute verträumt auf den marmorierten Schaum der Wellen.
    »Es wäre tatsächlich das erstemal. Und man wird die Juden vernichten. Die Überlebenden werden es nicht leicht haben, denn sämtliche Nichtjuden verabscheuen sie, vor allem diejenigen, die wissen, daß sie Fanatiker sind, mit denen ein Zusammenleben unmöglich ist.«
    »Wie bist du nur zu dieser Erkenntnis gekommen?« fragte Ion. »Das alles wurde mir vor ebenjener Absperrung im Tempel klar, die ich vorher erwähnt habe. Sie ist einzigartig auf der Welt. Jeder beliebige Fremde hat bei uns das gleiche Recht wie ein Grieche oder Römer, die Tempel zu betreten. Du wolltest nach Ägypten reisen; ich war dort. Die ägyptischen Priester haben sich in ihren Tempeln auch einen Raum vorbehalten, den nur sie betreten dürfen; der Zutritt ist nicht nur den Angehörigen anderer Religionen untersagt, sondern jedem, der kein ägyptischer Priester ist. Aber die Juden hassen alles, was fremd ist; sie haben nicht nur einen Raum, zu dem der Zutritt verboten ist, sondern sie haben ihn zudem in einen Teil des Tempels gelegt, den weder die Frauen noch die Angehörigen andersgläubiger Völker betreten dürfen. Und dann habe ich mich, als wir in Jerusalem waren, ein wenig umgehört. Dabei habe ich erfahren, daß es zwei besonders fanatische Sekten gibt. Die eine hat sich erst vor relativ kurzer Zeit gebildet, es sind die Zeloten, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Römern möglichst viel Ärger zu bereiten. Wenn sich die Gelegenheit bietet, schrecken sie nicht einmal davor zurück, römische Soldaten zu töten. Meiner Meinung nach werden sie mit diesen Provokationen nicht sehr weit kommen. Die andere Sekte ist

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