Ein Mensch namens Jesus
»Bist du ein Zelot?«
»Nein, aber meine beiden Vettern sind welche. Und wenn sie mich dazu auffordern, schließe ich mich ihnen an.«
»Ihr alle wißt ja gar nicht, wohin das Ganze führen kann. Aber ihr hättet es mir zumindest sagen sollen.«
»Wir sind hier, um dich zu beschützen, Vater Josef, weil du ein gerechter Mann bist. Von der Volkszählung wirst du noch früh genug erfahren. Die Steuereintreiber sind heute morgen in die Stadt gekommen, um den Erlaß des Prokurators zu verkünden. Einige Leute haben schon angekündigt, daß sie die Steuer nicht zahlen.«
»Na und?« fragte Josef. »Man wird sie schlagen oder ins Gefängnis werfen, oder aber sie müssen die Flucht ergreifen. Jedenfalls wird ihr Hab und Gut beschlagnahmt, und dann haben sie viel mehr verloren als das, was sie an Steuern zahlen müßten.«
»Wir befinden uns im Krieg, Vater Josef«, sagte der Geselle. »Es ist besser, im Kampf zu verlieren, als dem Henker den Nacken hinzuhalten. Außerdem gibt es auch in Kafarnaum Zeloten. Sie können den Römern ordentlich einheizen.«
Bleich verließ Josef die Werkstatt.
»Erzählt mir mehr von den Zeloten!« bat Jesus.
»Das sind Leute wie wir. Sie fühlen sich von den Römern gedemütigt und haben die Priester satt.«
»Wie viele sind es?«
»Was spielt das für eine Rolle? Ein paar Menschen hätten genügt, um Sodom zu retten.«
»Laßt uns mit ihnen kämpfen!« rief ein Lehrling.
»Laßt uns gegen die Römer kämpfen!«
Schlachtrufe wurden laut, die Werkstatt hallte von Kriegsgeschrei wider, die Luft vibrierte von den wilden Hieben einiger schnell zu Säbeln umfunktionierter Holzlatten.
»Ruhe!« schrie der Geselle. Er war ein entschlossener und umsichtiger Mann, dieser Simeon. »Wer hat schon von Soldaten ohne Waffen und Ausbildung gehört? Haltet euch vorläufig besser nur bereit. Wenn es soweit ist, werden die Anführer euch sagen, was zu tun ist. Und denkt daran: Auch List ist eine Waffe. Ein gezielt geworfener Stein in der Nacht kann die gleiche Wirkung haben wie ein gut geführtes Schwert. Nun aber an die Arbeit!«
Am Abend, als sie sich wuschen, brach jedoch die Aufregung erneut durch. Hier ein Fausthieb, der einen gegnerischen Schädel zerschmettern sollte, und dort ein kräftiger Arm, der die Keule schwang, um einem Feind das Kreuz zu brechen. Sie schrien so laut, daß Josef kam, um sie zu schelten.
»Eure Arme sind nicht stärker als die der Römer, solange nicht die Kraft des Herrn in ihnen steckt. Geht heim und bittet den Vater von uns allen, daß Er euch bewaffnet!«
Als sie zu Abend aßen, kamen die Nachbarn, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß an den Ufern des Sees unweit der Stadt Feuer brannten. Vater und Sohn gingen hinaus. Ein Haus stand in Flammen, und Fackeln bewegten sich in der Nacht wie Irrlichter.
Sie kehrten ins Haus zurück und versuchten zu schlafen. Aber ihr Schlaf war so leicht, daß ihn einige Schläge an die Tür im Dunkel der Nacht sofort unterbrachen. Im Schein einer Kerze schob Josef den Riegel zurück. Zwei schweißglänzende Gesichter tauchten auf. Eines davon war blutüberströmt.
»Friede sei mit dir, Josef, Sohn des Jakob«, sprach der verletzte Mann. »Kannst du uns Unterschlupf gewähren? Vor Tagesanbruch sind wir wieder fort.«
»Kenne ich euch?«
»Ich bin Judas, man nennt mich Judas aus Galiläa. Mein Gefährte heißt Nathan. Wir werden von den Römern verfolgt.«
Josef nickte. Sie traten ein. Die Tür wurde wieder verriegelt.
»Nach hinten!« sagte Josef. »Sollten sie kommen, könnt ihr über den Hof fliehen.«
Maria goß Wasser in eine Schale, riß ein Stück Leinen in schmale Streifen und holte ein Säckchen getrockneten Wegerich aus einem Wandschrank. Jesus betrachtete die Besucher neugierig. Judas war am Scheitel getroffen worden. Die Wunde mußte von einem Dolch herrühren, denn ein Schwert hätte den Kopf bis zum Hals gespalten. Nathan war unverletzt. Sie waren beide um die Dreißig. Aber Judas zog unwillkürlich alle Aufmerksamkeit auf sich, nicht nur, weil ihm sein kantiges Gesicht und der ebenso kantig geschnittene Bart das Aussehen eines Nabatäers verliehen, sondern weil er trotz seiner Verletzung noch lächelte. Er zuckte nicht zusammen, als Josef die Wunde zu waschen begann und das getrocknete Blut aufweichte, das seine Haare zu einer wunderlichen Frisur zusammengeklebt hatte. Judas betrachtete seinerseits Jesus.
»Du bist Jesus«, sagte er.
»Du scheinst gut unterrichtet zu sein«, brummte Josef, über den Kopf
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