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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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haben.«
    »Ich habe mich von Monostatos dazu verleiten lassen. Die Medusa möge ihn zu einer Steinsäule erstarren lassen! Aber diese Tänze, o diese Tänze!«
    »Monostatos hat nur deinem Dämon geschmeichelt. Und außerdem scheint die Welt für dich ohnedies ein großer Lustgarten zu sein. Was hast du noch alles vor?«
    »Ich werde mir den Rest ansehen, Olbia, Kertsch, Ktesiphon, Barygaza, Ekbatana, Kalikut, Taprobane. Ja, Taprobane. Mir wurde gesagt, daß auch dort die Tänze... Ich werde ans Ende der Welt fahren und am Ufer der leuchtenden Meere, in denen die Fische singen, geschmolzene Perlen trinken!«
    Eukrates brach in schallendes Gelächter aus. Das Schiff entfernte sich von Aschkelon, und der Architekt ließ seinen Blick über die goldenen Gestade Palästinas schweifen.
    »Mir scheint«, sagte er, »wir haben bei den Juden so viel Neues kennengelernt, daß uns für viele Abende reichlich Stoff zum Nachdenken bleibt.«
    »Ja, ja«, antwortete Ion zerstreut und sog die erste salzige Brise der Heimfahrt ein. Dann wandte er sich an Eukrates und fragte: »Was habe ich denn erfahren? Du scheinst immer mehr zu sehen als das, was man mit den Augen wahrnehmen kann.«
    »Oh, so viele Dinge, daß ich gar nicht weiß, womit ich beginnen soll. Die Gefahren des Gnostizismus etwa, die Kunst, die Katastrophe zu organisieren...«
    »Könntest du bitte etwas deutlicher werden?«
    »Der Gnostizismus, lieber Ion, ist eine Philosophie, die eine alte Schwäche des menschlichen Geistes widerspiegelt. Da der Mensch unfähig ist, sich eine andere Ordnung der Natur vorzustellen als diejenige, die sich ihm darbietet, und da er von vornherein überzeugt ist, die Krönung aller Lebewesen, ja sogar des Universums zu sein, ist er natürlich geneigt, seine mißglückten Unternehmungen als Ungerechtigkeit auszulegen. Ähnlich dem Kind, das sich nur um sich kümmert, macht er eine übernatürliche und hinterhältige Macht, die er als einen bösen Gott definiert, für sein Unglück verantwortlich. Und seine Logik läßt ihn zu der Folgerung kommen, daß es, da es ja einen schlechten Gott gibt, auch einen guten geben muß. Natürlich identifiziert er sich mit dem guten, den er mit Opfergaben überhäuft, wobei er in seiner naiven Schläue manchmal soweit geht, auch dem schlechten Gott Opfer darzubringen, um ihn nicht eifersüchtig zu machen. Er nimmt auch an, daß der gute Gott seine Leiden teilt — das geht ganz deutlich aus Homers Dichtung hervor, wenn die Helden die Gunst des einen oder anderen Gottes einfach als gegeben ansehen. Schließlich denkt er sich aus, daß der gute Gott mit dem schlechten in offener Feindschaft lebt. Da wir alle sterblich sind und denken, daß der Tod etwas Sinnloses ist, das sich unter der Herrschaft des guten Gottes nicht zutragen würde, folgern wir daraus auch, daß auf der Erde immer der schlechte Gott den Sieg über den guten davonträgt. Das bedeutet, daß die materielle Welt das Reich des schlechten Gottes ist. Aber da dieser Gedanke unerträglich wäre, nehmen wir auch an, daß der gute Gott in der unsichtbaren Welt Rache nimmt. Genau das machen die Juden. Sie sind bewundernswerte Meister in der Inszenierung von Seelenqualen.«
    »Mir scheint, daß sie sich nicht sehr stark von uns unterscheiden«, sagte Ion, wobei er sich zum Schutz vor den ersten gischtsprühenden Wogen in seinen Mantel hüllte.
    »Ja, bis auf einen gewissen Punkt. Wir haben nämlich nicht wirklich gute oder schlechte Götter. Alle unsere Götter sind mal gut, mal schlecht, je nachdem, wie stark sie sich in die menschlichen Angelegenheiten mischen. So führten die Streiche, die Dionysos seinem Vetter Pentheus, dem König von Theben, spielte, schließlich zur Ermordung des Königs durch die Bakchen. Dionysos könnte uns also als ein schlechter Gott erscheinen. Und dennoch ist er es, der Ariadne aus ihrem Gefängnis auf Naxos befreit und sie zur Frau nimmt — nicht gerade mit großer Begeisterung, das gebe ich zu. So wie er sind alle unsere Götter ambivalent und unberechenbar, und wir haben keinen einzigen, der nur gut oder nur schlecht wäre. Selbst Hades, der Gott der Unterwelt, ist kein übler Kerl...«
    »Und warum soll es sich bei den Juden anders verhalten?« fragte Ion. »Sogar völlig anders. Anstelle mehrerer ambivalenter Götter haben sie einen namens Jahwe gewählt, der nur gut ist und im Jenseits herrscht, nicht aber auf Erden. Parallel dazu haben sie sich einen Teufel ausgedacht, den sie Satan nennen und der die Welt

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