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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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wie Herakles opfern lassen.«
     

XII.
     
    Besucher bei Nacht, Besucher bei Tag
     
    Sein Blick war düster geworden, die Wangen waren eingefallen. Jerusalem hatte einer Säure gleich der Unbekümmertheit des Jünglingsalters arg zugesetzt, kein sanftes Lächeln mehr und auch kein herausfordernd funkelnder Blick. Das Bedürfnis nach Einsamkeit war gewachsen. Immer ausgedehnter wurden die Spaziergänge entlang des Ufers.
    Die Welt, insbesondere Jerusalem, lag in den Händen von Erwachsenen, die alle möglichen recht undurchschaubaren Strategien verfolgten. Entweder waren sie durchtrieben und bestechlich wie die Priester im Tempel, oder aber man hatte sie ausgestoßen wie Josef. Früher hatte Josef offensichtlich großen Einfluß gehabt. Er hatte sich aber dann mit der herrschenden Kaste Jerusalems überworfen und die Flucht ergreifen müssen. Seine Kenntnis der Bücher war nur ein Erbe aus der Vergangenheit, sie war zu nichts mehr nutze. Außerdem war er zu alt geworden.
    Was nun ihn anging, so beherrschte er lediglich das Handwerk des Zimmermanns, und von den Büchern wußte er nur, was sein Vater ihm bezüglich der Menschen gesagt hatte. Bald würde Josef sterben, und ihm würde nichts anderes übrigbleiben, als das Leben eines Zimmermanns in Kafarnaum zu führen. Heiraten, als zweitklassiger Bürger alt werden, als einer jener zahllosen Juden, welche die Bewegungen der römischen Truppe zu einem Leben in ständiger Unruhe zwangen. Nein.
    Aber es gab keinerlei Aussicht, dem zu entfliehen. Unmöglich, sich dem im Tempel herrschenden System zu fügen. Der Gedanke allein schon widerte ihn an, außerdem war es unmöglich. Und dennoch. Er verfügte ja über eine gewisse Ausstrahlung, das hatte er im Tempel genau gemerkt. Wie gereizt und erregt Mattathias, Ebenezer und Gedalja reagiert hatten! Wenn er doch nur die Bücher kennen würde! Selbst als kleiner, unbedeutender Rabbiner könnte er dann Leuten wie ihnen schwer zu schaffen machen. Aber sein Vater wollte nicht, daß er Rabbiner wurde.
    »Ein Ei fliegt nicht«, sagte er, als Jesus ihn bat, ihn die Bücher zu lehren.
    Aber wenigstens ausbrüten hätte man es müssen, dieses Ei.
    Und als Jesus wieder davon sprach, wie notwendig es sei, die Bücher lesen zu können, damit sie nicht alleiniger Besitz solcher Leute wie der im Tempel blieben — die Unterhaltung fand auf dem Heimweg von Jerusalem statt — , gab Josef eigensinnig zurück: »Kein Buch hat sich jemals verschlossen.« Und weiter: »Selbst der Schakal lehrt seine Jungen, die Spur des Jägers zu meiden.«
    Dann kam eines Morgens Elias, einer der Lehrlinge und Sohn des Bäckers, der die römische Garnison belieferte, zu spät zur Arbeit. Er hatte seinem Vater helfen müssen, die doppelte Menge Teig zu kneten.
    »Warum das?« fragte Josef.
    »Weißt du nicht? Fünfhundert römische Soldaten sind in der letzten Nacht aus Syrien eingetroffen.«
    »Fünfhundert?«
    »Fünfhundert. Sie kamen bei Einbruch der Dunkelheit und forderten meinen Vater auf, zweihundertfünfzig Brote mehr zu backen. Dann gingen sie mit derselben Bitte zum Bäcker Janina. Bist du denn nicht in der Stadt gewesen? Die Leute sind in heller Aufregung. Mehrere Läden haben schon eine Stunde, nachdem sie aufgemacht hatten, geschlossen, und andere haben überhaupt nicht aufgemacht. Wegen der Zeloten.«
    Mehrere Köpfe in der Werkstatt fuhren hoch.
    »Wer sind die Zeloten?« fragte Jesus den Gesellen.
    »Aufrührer. Judas aus Galiläa und Zadok sind ihre beiden Anführer. Sie haben vor einigen Tagen in der Nähe von Chorazin zwei Römer getötet. Und der Rabbiner hat sich aus Angst, die Zeloten könnten ihn um Hilfe bitten, in der Synagoge eingeschlossen«, fügte er sarkastisch hinzu.
    »Jetzt erinnere ich mich«, sagte einer der Lehrlinge, »daß ein Fischer auch gesagt hat, die Volkszählung habe zu Unruhen in Chorazin geführt.«
    »Die Volkszählung?« schrie Josef. »Die Volkszählung? O Herr, schon wieder!« Sein Kinn bebte. »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
    Außer sich ging er in der Werkstatt auf und ab. Die Späne wirbelten unter seinen Sandalen hoch.
    »Daß man die zwei Römer umgebracht hat, ist kein Unglück«, meinte der Geselle. »Es ist Zeit, daß wir dem Prokurator Coponius und seinem syrischen Komplizen Quirinius zeigen, daß wir keine Lämmer sind, die gehorsam zum Schlachthof trotten. Das Schwert Davids ist nur begraben, aber nicht zerbrochen.« Er verschränkte die Arme vor der Brust.
    Josef drehte sich zu ihm um.

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