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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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studieren?«
    »Ja, man studiert dort die Bücher, doch man geht anschließend nicht wieder nach Jerusalem, sondern bleibt dort oder schließt sich einer anderen Essenergemeinschaft an.«
    »Es ist also ein Exil.«
    »Von außen gesehen, ja.«
    »Und von innen?«
    Eine Windböe drohte sie zu trennen.
    »Da bedeutet es, zu den Auserwählten zu gehören. Eine Zeit geht zu Ende, und eine neue bricht an. Verstehst du?«
    Aber Jesus’ Blick schien eher auszudrücken, daß er seinen Gesprächspartner nicht wirklich verstanden hatte.
    »Natürlich ist diese ganze Welt verdorben, wie du gesagt hast«, fuhr Jokanaan fort. »Der morsche Wald zerfällt am Ende immer zu Staub, die abgestorbenen Bäume stürzen zu Boden, und die Sterbenden vergehen. Das kommende Zeitalter ist bereits angebrochen.«
    In der Ferne blinkten die Lichter von Kafarnaum. Auf einer Landzunge, von Wellen umschlungen, blieben sie stehen.
    »Und welche Rolle spielen die Essener dabei?« fragte Jesus.
    »Sie haben mit den anderen Priestern gebrochen. Sie bereiten sich in der Einsamkeit vor.«
    »Worauf?«
    »Auf das Ende. Vielleicht auf das Ende der Welt. Auf das Ende dieser Welt jedenfalls.«
    »Ich glaube nicht, daß uns das von den Römern befreien wird; wenn wir also sterben, dann eben als ihre Knechte«, entgegnete Jesus langsam. »Die Anwesenheit der Römer, das ist unser Problem. Wenn sie weg wären, könnten wir uns um die korrupten Priester kümmern.«
    »Aber wir werden die Römer nicht los«, bemerkte Jokanaan.
    »Nein, selbst wenn wir alle Zeloten wären, könnten wir sie nicht loswerden. Und dennoch...«
    Sie machten sich auf den Rückweg.
    »Aber was nützt es, sich in einem Kloster am Ende der Welt einzusperren?« rief Jesus ungeduldig aus. »Es wird nur den Essenern nützen, wenn das Ende der Welt wirklich kommt.«
    »Man darf sie nicht so beurteilen«, meinte Jokanaan, »sie bemühen sich, gerecht zu bleiben.«
    »Das ist einfach, wenn man in der Wüste lebt«, gab Jesus zurück. »Das Leben in Qumran ist nicht einfach.«
    Sie gingen am Hafen entlang. Die Fischer, die an diesem Tag einen spärlichen Fang gemacht hatten, fluchten.
    »Früher wurden die Essener verfolgt, und sie können jederzeit wieder verfolgt werden«, sprach Jokanaan weiter. »Einer ihrer Meister, der berühmteste, den sie noch heute in Ehren halten — sie nennen ihn Meister der Gerechtigkeit — , wurde genau am Tag der Versöhnung getötet.«
    »Wann? Davon wurde uns nie etwas erzählt.«
    »Vor einhundertfünfzig Jahren.«
    »Weshalb?«
    »Weil er den damals herrschenden König, Alexander Jannai, verurteilt hatte, der gleichzeitig auch der Hohepriester von Jerusalem war; die Essener nannten ihn den Schlechten Priester.«
    »Die Lage scheint sich nicht sonderlich geändert zu haben. Oder sind die Priester immer schlecht? Und was soll dieses ewige Trauern um den Meister der Gerechtigkeit?«
    »Sie warten auf einen anderen Meister, der die Salbung haben wird. Und dieser Messias wird sowohl der Messias Aarons als auch der Messias Israels sein. Verstehst du? Der Messias Aarons wird für die Wiederherstellung des Gesetzes sorgen, der Israels für die Vertreibung des Bösen.«
    »Auch für die Vertreibung der Römer?«
    »Die Römer sind Teil des Bösen.«
    »Und der Meister der Gerechtigkeit, war er denn nicht selbst ein Erlöser?«
    »Nein, er hatte die Salbung nicht. Der Messias wird vom Herrn auserwählt. Die Engel befehlen ihm, sich zu erheben und die sieben Meßgewänder anzulegen — das sind die im Buch >Exodus< aufgeführten Insignien des Hohenpriesters. Dann salben sie ihn«, sagte Jokanaan feierlich, »und sie erheben ihn auf die göttliche Stufe des auserwählten Priesters.«
    »Und er wird trotzdem ein Mensch bleiben?« fragte Jesus.
    »Ja.«
    »Woher weißt du das alles?«
    »Es gibt nicht nur in Qumran Essener. Vor vielen Monaten bin ich einem von ihnen am Jordan begegnet, und ich habe mich lange mit ihm unterhalten.«
    »Und dann?« fragte Jesus. »Was wird dann aus dem Hohenpriester in Jerusalem und dem ganzen Klerus? Und was wird aus dem Tempel?«
    »Die Ankunft des Messias wird die Lügner ans Tageslicht bringen. Was sonst noch geschehen wird, weiß ich nicht.«
    Sie gingen schweigend weiter.
    Dann fragte Jesus wieder: »Und die Römer?«
    »Wer sind denn die Römer schon? Meinst du, sie können sich dem Willen des Herrn widersetzen?« entgegnete Jokanaan stolz. »Hast du deinen Glauben verloren?«
    »Nein, aber der Herr verbietet uns nicht, daß wir uns

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