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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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zusammen, ließen jedoch das Gesicht unbedeckt, wie es bis zum Augenblick der Beerdigung der Brauch war. Erst nachdem der Raum mit Duftstoffen ausgeräuchert war, ließen sie Maria und die Trauergäste eintreten.
    Zwei Dutzend Menschen erwiesen dem Verstorbenen die letzte Ehre. »Auf daß die Gebete und das Flehen der Kinder Israels von ihrem Vater im Himmel erhört werden...«, rezitierte Jesus. Maria wiederholte nach ihm die Worte des Kaddisch; sie weinte nicht dabei. Einunddreißig Jahre war sie nun alt, und seit langem hatte sie begriffen, daß Josef viel eher ein Vater gewesen war als ein Ehemann. Um seinen Körper hatte sie schon seit langem getrauert, nun oblag ihr nur mehr das Trauergeleit.
    Als die Gebete gesprochen waren und genau in dem Augenblick, in dem der Rabbiner eintraf, legte Jesus das Scheitelkäppchen des Priesters, der Josef ja gewesen war, auf das Leichentuch. »Herr der Barmherzigkeit«, sprach Jesus und blickte dem Rabbiner in die Augen, »Du, Auge, das alles siehst, Ohr, das alles hört, erhöre meine Bitte für Deinen Priester Josef und sende Michael, den obersten Deiner Engel, und Gabriel, den Boten des Lichts, und die Heerscharen Deiner Engel, um der Seele Deines Dieners, meines Vaters, Geleit zu geben, bis sie zu Dir gelangt.«
    Sie betteten den Leichnam auf eine Tragbahre; Jesus nahm den Griff vorne rechts und Samuel den links, zwei Lehrlinge faßten hinten an. Sie gingen hinaus und schlugen den Weg am See entlang Richtung Friedhof ein. Samuel hatte für einen Platz in einer Gruft gesorgt, wo der Leichnam bleiben sollte, bis er ausgetrocknet war. In zwei oder drei Jahren würden sie ihn dann in die letzte Ruhestätte überführen, in ein sechs Fuß langes und drei Fuß tiefes Grab, in dem die sterblichen Überreste des Zimmermanns endgültig zu Staub zerfallen konnten. Anschließend gingen Jesus und all jene, die mit dem Leichnam in Berührung gekommen waren, ins Bad, um sich zu reinigen. Von dort aus begaben sie sich in das Haus, das von nun an Jesus’ Haus war. Dort setzten sie sich mit der Familie und den Freunden zum Totenmahl zusammen. Der Rabbiner war auch dabei; im Laufe des Essens erinnerte er daran, daß die Werkstatt gemäß dem Brauch dreißig Tage geschlossen bleiben müsse.
    »Wir sind alle arm«, erwiderte ihm Jesus, »und die, die mit mir arbeiten, haben es noch nötiger als ich, ihr Brot zu verdienen. Wenn ich die Werkstatt schließe, müssen sie sich Geld leihen, um ihre Frauen und Kinder zu ernähren, denn ich kann sie nicht entlohnen. Die Seele meines Vaters wird schwerlich in den Frieden ihres Schöpfers eingehen, während sich die Wucherer bereichern. Wir werden deshalb morgen wie gewöhnlich arbeiten. Und wir werden unseren Körper sauberhalten, nicht in Lumpen herumlaufen und die Läuse davon abhalten, sich auf unserem Kopf einzunisten. Kummer muß nicht vor jedermann zur Schau gestellt werden.«
    Der Rabbiner saß mit offenem Munde da. »Morgen wieder aufmachen?« japste er. »Aber das bedeutet, unsere Bräuche zu mißachten! Niemand wird euch Arbeit geben oder Aufträge von der Werkstatt annehmen, höchstens die Ungläubigen.«
    »Wenn dem so ist, dann werden wir für die Ungläubigen arbeiten und sagen, daß es besser ist, für sie zu arbeiten, als sie unsere Priester auswählen zu lassen. Und nun wirst du das Gebet sprechen, oder soll ich es tun?«
    Der Rabbiner erhob sich widerwillig, sprach die Danksagung und anschließend das Gebet für den Verstorbenen. Als er geendet hatte, rezitierte Jesus einen Psalm: »Das Leben des Menschen ist wie das Gras / Er blüht wie die Blumen des Feldes / Wenn der Wind kommt, werden sie welk / Und die Erde vergißt sie / Aber die Liebe des Herrn wird niemals / Mangeln denen, die Ihn fürchten / Und auch seinen Söhnen und deren Söhnen / Wird es nicht mangeln an Seiner Gerechtigkeit / Wenn sie auf Seine Stimme hören und den Bund achten / Wenn sie sich an Seine Gebote erinnern / Und Ihm gehorchen.«
    Der Handlanger und die Lehrlinge nickten, verabschiedeten sich von Jesus und gingen. Der Rabbiner, der nun keine Zuhörer mehr hatte, ging ebenfalls.
    »Die Leute tratschen schon, weil du ledig bleibst. Heute abend haben sie einen weiteren Grund zu Klatsch und Tratsch gefunden. Sie werden sich eine andere Werkstatt suchen«, gab Maria zu bedenken. Und tatsächlich: Am nächsten Tag kam niemand.
    Am Tag darauf versammelten sich ein paar Neugierige in einiger Entfernung, um festzustellen, ob zutraf, was man redete, daß nämlich

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