Ein Mensch namens Jesus
in weltlichen Angelegenheiten unseres Verstandes bedienen, und es handelt sich hier sehr wohl um weltliche Angelegenheiten, nicht wahr? Man muß das Volk von den Römern, die unseren Klerus in ihre Dienste zwingen, befreien.«
»Es gibt keine weltlichen Angelegenheiten«, erwiderte Jokanaan. »Für den Herrn gibt es keinen Bereich, der Ihn ausschließt.«
»Und du willst also bis zur Ankunft des Messias in Qumran bleiben?«
»Ja, ich werde bis zur Ankunft des Messias in Qumran bleiben«, bestätigte ihm Jokanaan, felsenfest überzeugt.
Sie näherten sich dem Haus.
»Du bist Waise«, sagte Jokanaan, »das merke ich an deiner Verwirrung.«
Sie teilten dasselbe Zimmer und entkleideten sich im Dunkeln. Jesus schlief sofort ein, wurde jedoch von einem Alptraum aus dem Schlaf gerissen. Er hatte vom Hohenpriester in roten Meßgewändern geträumt, die in Wirklichkeit nichts als blutbefleckte Fetzen waren. Er hörte die regelmäßigen Atemzüge Jokanaans und beneidete ihn um seine Gewißheit. Für ihn selbst hielt die Welt noch ihre Schlüssel versteckt, Kafarnaum war nur eine weit von Jerusalem abgelegene Stadt. Wohin sollte er gehen? Womit beginnen?
Der anbrechende Tag fand ihn schlafend, aber schweißgebadet. Er schlug die Augen auf und sah in Jokanaans Gesicht, das sich über ihn beugte.
»Du hast geträumt«, sagte er. »Du hast im Schlaf gesprochen.«
»Was habe ich gesagt?«
»Du hast mich gerufen.«
Das kalte Wasser vertrieb die Ängste der Nacht.
Als Jokanaan Abschied nahm, begleitete ihn Jesus ein Stück. »Ein letztes Wort«, sagte er. »Es können doch mehrere Menschen glauben, daß sie der göttliche Wille ausersehen hat.«
»Das ist nicht möglich. Es werden Zeichen geschehen.«
»Welche Zeichen?«
»Zeichen«, wiederholte Jokanaan. »Die Engel...« Er unterdrückte eine Geste der Ungeduld. »Es wird nur einen einzigen Messias geben«, versicherte er mit Nachdruck.
Jesus nickte. Er wußte zuwenig darüber. Als Jokanaan fort war, blieb er vor dem Meer stehen und blickte lange nachdenklich in das gleißende Glitzern der Wasseroberfläche.
XIV.
Der Tod eines Zimmermanns
Alles Jünglingshafte an ihm war nun endgültig verschwunden. Die Haut war sonnengebräunt, der Bart dicht, der Körper muskulös, und auch die letzte Anmut der Jugend war dahin.
Die Mütter betrachteten ihn voll Interesse, die Mädchen ebenso. Basen gab es keine, nicht einmal entfernt verwandte, dabei stand in nächster Zeit eine gutgehende Werkstatt als Erbteil in Aussicht. Es kam zu ersten Annäherungsversuchen, oft unter der zögernden Mitwirkung des Rabbiners. Persönliches wurde diplomatisch mit Geschäftlichem verbunden. Aber Josef war taub, und Jesus zeigte sich abweisend. Die Verärgerung beim einen oder anderen über sein Verhalten ließ einiges Gerede aufkommen. Maria war darüber beunruhigt.
»Ist es nicht Zeit, eine Frau zu nehmen?« fragte sie. »Die Leute zerreißen sich schon die Mäuler.«
»Ich werde darüber nachdenken.«
»Hast du ein unerreichbares Mädchen im Kopf?«
»Nein.«
»Sagt dir denn keines der Mädchen zu, die man dir zur Frau anbot?«
»Sie sagen mir alle zu, aber ich will nicht heiraten.«
»Selbst die Propheten haben geheiratet.«
»Die Essener nehmen sich keine Frau.«
»Die Essener?« fragte Maria verdutzt zurück.
Es gelang ihr, sich bei Josef in dieser Angelegenheit Gehör zu verschaffen. Lange gab er ihr keine Antwort, dann sagte er: »Wenn ein Baum seine Früchte im Winter trägt, werden die Vögel sie fressen.«
Sie war sehr betrübt.
»Der Gärtner«, fuhr er fort, »weiß, in welcher Jahreszeit er säen muß, um die Früchte zu ernten. Der Wind dagegen sät aufs Geratewohl.«
Sie hüllte sich in den Schleier und verschwand. Jesus hatte alles gehört. Am Tag darauf war Josef tot.
Stundenlang verharrte Jesus am Fußende des Bettes, auf dem dieser Körper lag — so leicht, wie aus Federn und Wind gemacht. Er dachte über die Ehre und den Stolz nach, und über die Treue. Der Gärtner hatte die vom Wind ausgesäte Pflanze angenommen, das war es also.
Der Handlanger Samuel kaufte Myrrhe und Aloe, von beidem sechs Pfund. Frauen wuschen den Leichnam, banden ihm mit schmalen Bändern die Füße zusammen, legten ihm dann eine Kinnbinde an und betteten ihn auf das Leichentuch. Sie besprengten das, was vom Zimmermann geblieben war, mit Essenzen und legten ein Schweißtuch über sein Gesicht, das die letzten Sekrete aufsaugen sollte. Dann schlugen sie das Leichentuch
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