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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Jesus, der Sohn des Zimmermanns Josef, die vorschriftsmäßige Einstellung der Arbeit nicht beachtete. Samuel murrte, daß sie die Werkstatt nicht geschlossen hätten, um keinen Monatslohn einzubüßen, jetzt aber Gefahr liefen, ihre Arbeit endgültig zu verlieren. Er machte sich auf den Weg, fertige Werkstücke abzuliefern; man nahm ihn sehr unfreundlich auf.
    Dann kam der Rabbiner, um sich zu beschweren, daß Jesus, der schließlich nicht in Kafarnaum geboren sei, die seit jeher hier ansässigen Leute verärgere, weil er die Vorschriften nicht beachte.
    »Es gibt nur eine Vorschrift, die beachtet werden muß: das Gesetz«, entgegnete Jesus. »Die Bräuche, um die du so großes Aufhebens machst, sind von Menschen eingeführt worden, nicht vom Allmächtigen. Wenn sich deine Schäflein mehr um das Gesetz kümmern würden und weniger um die Bräuche, dann wären wir nicht ohne Arbeit.«
    »Was berechtigt dich, auf das Gesetz zu verweisen, dich, der du nicht unterrichtet bist?« rief der Rabbiner.
    »Alle Menschen können auf das Gesetz verweisen, da es für alle da ist.«
    »Ich hatte gehofft, du würdest einsichtig sein, aber du bist starrköpfig wie ein Esel«, sagte der Rabbiner und zog wütend ab.
    Jesus ging in die Werkstatt, um seinen Leuten die Lage zu erklären. Er kündigte an, daß er das Geschäft ganz schließen werde, sobald er ihnen ihren Lohn ausbezahlt habe.
    »Der Rabbiner ist schuld daran!« klagten sie.
    »Nein«, meinte Jesus und schüttelte den Kopf. »Wenn die Pest wütet und ein Mensch an ihr erkrankt, dann ist das nicht seine Schuld. Der Rabbiner hat die Pest.«
    Noch am Nachmittag trafen Jakobus, Justus, Simon und Judas gemeinsam ein. Jesus führte sie an Josefs Grab und kehrte dann mit ihnen nach Hause zurück, um ein zweites Totenmahl abzuhalten.
    Sie wechselten ein paar nichtssagende Worte, doch dann fragte Jakobus: »Hat uns unser Vater etwas vermacht?«
    »Er besaß nur die Werkstatt. Wenn einer von euch sie will, kann er sie haben«, antwortete Jesus.
    Sie blickten ihn überrascht an; er erklärte ihnen seine Meinungsverschiedenheit mit den Leuten in Kafarnaum. Eine Zeitlang sagten sie nichts, dann meinte Simon, daß der Vater wahrscheinlich wie Jesus gehandelt hätte, und er lud Jesus sogar ein, nach Bethlehem zu kommen, dort zu arbeiten und bei ihnen zu leben.
    Jesus schüttelte den Kopf. »Ich könnte in diesem Judäa, aus dem mein Vater einst geflohen ist, nicht in Frieden leben. Ich könnte nicht in der Nähe eines Tempels wohnen, dessen Priester sich an den dem Herrn gemachten Opfergaben bereichern. Übrigens sind selbst hier die Speicher der Synagoge in Erwartung einer Hungersnot randvoll mit Weizen gefüllt. Der Rabbiner wird ihn dann zum zehnfachen Preis verkaufen und zudem nur mit leichten Talenten abwiegen lassen. Ich gehe fort und warte auf den Sturm.«
    »Den Sturm?« fragte Jakobus.
    »Den Sturm«, bestätigte Jesus. Und nach einer Weile: »Ein Mann wird kommen. Und der Sturm wird ausbrechen.«
    Sie wirkten verunsichert. Bevor sie schlafen gingen, schlugen sie Maria vor, doch bei Lydia oder Lysia zu wohnen, was Fürsorge und Entschuldigung zugleich war.
    Die Nacht wurde kalt und klar, und die Sterne leuchteten wie eine Silberschrift am Himmel. Niemand aber vermochte diese Schrift zu entziffern.
     

XV.
     
    Begegnung mit einem Magier
     
    Nachdem die kleine Karawane — ein halbes Dutzend Maultiere, die Josefs Söhne und deren Stiefmutter trugen — im Straßenstaub und im Morgendunst verschwunden war, und nachdem Jesus so getan hatte, als schlüge er die entgegengesetzte Richtung ein, wurde es Zeit, eine Pause einzulegen. Nur einen Steinwurf von dem Haus entfernt, in dem er seine Kindheit und Jugend verbracht hatte und das nun mit geschlossenen Fensterläden friedlich im Sonnenschein dalag, setzte sich Jesus unter einen Baum.
    »Eine Zeit, um geboren zu werden, und eine Zeit, um zu sterben«, murmelte er. Aber er war frei, und der Tod war nur ein schwarzer, weit entfernter Punkt.
    »Eine Zeit, um zu weinen, und eine Zeit, um zu lachen.« Aber er hatte wenig geweint und keine Lust zu lachen.
    »Eine Zeit, um zu suchen, und eine Zeit, um zu verlieren.« Er hatte kaum zu suchen begonnen und fühlte sich keineswegs zum Scheitern verurteilt.
    Keiner der Sprüche aus dem Buche Jesus Sirach paßte auf ihn. Er hatte noch nicht einmal angefangen, von allem ein wenig zu kosten. Er dachte an Jokanaan, der ihm fehlte, den er aber plötzlich schulmeisterlich und zu selbstbewußt fand.

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