Ein Mensch namens Jesus
Er bekam Lust, die Welt zu sehen, ihre Provinzen und ihre Städte, ihre Städte und ihre Ebenen, ihre Ebenen und ihre Menschen. Er wußte, daß er etwas tun mußte, aber er wußte nicht, was.
Er stand auf und warf sich sein Bündel über die Schulter. Wie beim erstenmal, als er nach Jerusalem gegangen war, hatte er nichts als sein Gewand, seine Sandalen, seinen Umhang und einen Stock bei sich, dazu ein wenig Brot und Früchte. All sein Geld hatte er der Mutter gegeben. Es blieb ihm nur noch etwas Kleingeld.
Maria. Diese Anmutige, Traurige, diese Ahnungslose und Weise. Sie hatte ihm liebevoll ihre Milch gespendet und ihn treu umsorgt. Jetzt konnte sie ihm nichts mehr geben.
Er schlug den Weg nach Betsaida ein, das im Ostjordanland, in Trachonitis, lag. Die ersten Menschen, denen er begegnete, waren Bauern. Er fragte sie, ob er einige frische Feigen von den zahlreichen, mit Früchten schwer beladenen Bäumen pflücken dürfe, in deren Nähe sie arbeiteten. Sie starrten ihn verschreckt an und ergriffen, ohne zu antworten, die Flucht. Er ging ihnen nach, aber sie liefen noch weiter weg. Da er ein guter Läufer war, holte er einen der Bauern ein. »Warum bist du davongelaufen?« fragte er ihn. »Und warum hast du Angst?«
»Erbarmen!« schrie der junge Bauer. »Erbarmen, Herr!«
»Ich bin nicht dein Herr, und ich habe auch nicht vor, dich zu schlagen. Warum benimmst du dich so eigenartig?«
Gebückt, schmutzig und zerzaust, wie ihn Jesus mit festern Griff am Arm hielt, glich der Bauer einem Affen, den Jesus damals in Jerusalem gesehen hatte. Ein jämmerliches Tier in roten Hosen, das von einem Neger an der Leine geführt worden war und tanzen mußte. Jesus lockerte den Griff, und der Bauer fiel wimmernd zu Boden. Die anderen blieben auf Distanz und verfolgten ängstlich die Szene. Offensichtlich hatten sie nicht die geringste Lust, einem der Ihren zu Hilfe zu eilen, was Jesus ebenfalls erstaunte.
»Hör auf mit diesem Weibergejammre!« befahl er, aber vergebens, denn der andere winselte weiter. »Nie lassen sie uns in Ruhe«, stöhnte der Bauer mit der Stimme eines alten Weibes. »Immer nur schlagen sie uns, nehmen weg, was uns gehört, behandeln uns schlimmer als Hunde...«
»Wer?« fragte Jesus und schüttelte sein ungewolltes Opfer.
»Alle. Alle Leute aus der Stadt. Und Leute wie du.«
»Nenne sie!« befahl Jesus.
»Alle«, wiederholte der Bauer. »Und vor allem Barnabas.«
»Wer ist Barnabas?«
»Barnabas, der Rabbiner«, sagte der Bauer und schaute sich dabei verstohlen um. Offensichtlich suchte er nach einer Fluchtgelegenheit. Jesus packte den Bauern wieder fester am Arm und schüttelte ihn erneut. »Barnabas, der Rabbiner, schlägt dich? Antworte!«
»Er schlägt uns und nimmt uns alles weg. Obst, Gemüse, die Ernten, alles.« Der Bauer heulte mit unerträglicher und falscher Heftigkeit, womit er wohl die anderen Bauern um Hilfe rufen wollte.
Jesus glaubte, keine weiteren Auskünfte aus ihm herausholen zu können, und ließ ihn los. Er pflückte ein paar Feigen und setzte seinen Weg fort, entschlossen, den Rabbiner Barnabas selbst zu befragen. Der Anblick der Synagoge von Betsaida überraschte ihn. Das Bauwerk hatte nicht nur gewaltige Ausmaße, sondern es war auch gänzlich schwarz. Es bestand aus Basalt, der vor allem an den Kapitellen der Pilaster und am Kranzgesims mit Porphyr verziert war. Diese Synagoge wirkte hochmütig und häßlich. Jesus eilte die Vortreppe hinauf und bat den Leviten, der die Pforte bewachte, ihn beim Rabbiner zu melden. Der Levit lachte und zuckte mit den Achseln. »Der Rabbiner Barnabas ist seit mehreren Jahren tot«, rückte er schließlich mit der Sprache heraus.
»Wer ist sein Nachfolger?«
»Der Rabbiner Zacharias. Warum interessiert dich das? Bist du aus Betsaida? Ich erinnere mich nicht, dich schon gesehen zu haben. Jedenfalls hast du nie Geld für den Gotteskult bezahlt«, antwortete der Levit.
»Ich komme aus Kafarnaum. Ich bin der Sohn eines Priesters und Zimmermanns namens Josef.«
»Wenn das so ist, dann werde ich den Rabbiner bitten, dich zu empfangen.«
In Betsaida mußte es reiche, zumindest aber großzügige Leute geben. Der Fußboden des Raumes, in den man Jesus einließ, war mit Mosaikarbeiten verziert, Teppiche hingen an den Wänden und waren über den Diwan gebreitet, auf dem der Mann hockte, welcher der Rabbiner Zacharias sein mußte. Er war kaum älter als vierzig, gut genährt, und der rötliche Schimmer seines Bartes, den er offensichtlich mit
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