Ein Mensch wie Du
– sie hockte sich neben ihn auf die erhöhte Seitenlehne. »Ich muß mich um dich kümmern, mein Lieber«, sagte sie leise und legte ihre schmale Hand auf sein Haar. »Professor Glatt hat nicht immer recht. Ein großer Sänger wird nicht nur geboren, er ist nicht nur einfach da … Ein großer Sänger muß wachsen, reifen, er muß den Himmel kennen, von dem er singen soll! Und die Hölle! Alle die kleinen Teufel, die süßen, kleinen Teufelchen …« Sie umfaßte seinen Kopf, und so sehr er sich sträubte und aufspringen wollte, küßte sie ihn und drückte ihn mit ihrem Körper in den tiefen Sessel zurück. Er wollte ihre Arme greifen, er wollte sie von sich stoßen, entschlossen, hart. Aber als er die Arme ausstreckte, spürte er wieder einen Kuß, und er schloß die Arme um ihren Körper und drückte sie an sich.
So saßen sie, umschlungen, von den Flammen des Kamins umspielt, sie küßten sich, und ihr heißer Atem wehte über ihre Augen und machte sie trunken.
»Du Hexe«, sagte er leise. »Du verfluchte, schöne Hexe …«
Und das Bild der weinenden, dem Zug nachrennenden Greta Sanden zerrann in der Dunkelheit des Raumes, verbrannte in dem Feuer des offenen Kamins, wurde aufgesaugt von den Lippen einer fiebernden, süßen Gegenwart …
Als Dr. Fischer zurückkehrte, saßen sie noch immer umschlungen am langsam verlöschenden Kamin.
Einen Augenblick blieb der Intendant an der Tür stehen, dann räusperte er sich. Sandra und Franz fuhren auseinander; verlegen, wie bei einem Streich ertappte Schulkinder sahen sie zu Boden.
»Das ist richtig!« sagte Dr. Fischer jovial und lachte dann laut, befreiend, die Peinlichkeit der Szene überbrückend. »Mein neuer Tenor hat bereits die Lebenshaltung eines Stars … Vorschuß, eine Geliebte … Hoffentlich ist auch die Stimme danach …« Und Sandra Belora fiel Franz um den Hals und küßte ihn in Gegenwart Dr. Fischers, als wolle sie damit sagen, daß er ihr gehöre, ihr allein.
Vom Park herein rauschten die Bäume. Regenwolken schoben sich über den nachtdunklen Himmel.
»Wir wollen das Licht anmachen«, sagte Dr. Fischer lächelnd. »Treten wir in die Wirklichkeit.«
Und der Salon lag im hellen, blendenden Lichterglanz …
Die Proben zu ›Tosca‹ von Giacomo Puccini fanden zunächst auf der Probenbühne der Staatsoper statt, einem kleinen Saal mit einem Podium und einigen Versatzstücken. Der Korrepetitor hockte an einem Flügel, der Regisseur saß vor dem Podium auf einem wackligen Stuhl. Es war alles so illusionslos, so handwerklich, so primitiv fast. Man sang auch nicht mit voller Stimme; man markierte nur und übte die Einsätze, die Bewegungen, das Spiel und den Zusammenklang mit dem Orchester, vertreten durch den Korrepetitor am Klavier.
Die Stellproben – wie man diesen Anfang nannte – waren schnell vorüber. Der Text saß, die Spielhandlung war durchgenommen, die Arien und Duette klappten auf Anhieb. Sandra Belora war in einer glücklichen Stimmung. Wenn sie mit Franz Krone sang, blühte sie auf und vergaß, daß sie nur zu markieren brauchte. Sie sang voll und kümmerte sich wenig um das Geflüster, das bald den weiten Bau der Staatsoper durchzog und von der Bindung der Belora mit dem ›Neuen‹ sprach.
Die erste Hauptbühnenprobe war für Krone ein Erlebnis. Zum erstenmal stand er auf einer riesigen Opernbühne und kam sich einsam, klein, verloren vor. Der weite Raum, der mehrstöckige Schnürboden, von dem die Kulissen an Seilen herabgelassen wurden, die Beleuchterbrücken, drei Etagen übereinander, die versenkbaren Böden, die Rampe mit den Lichtern und davor das drohende, dunkle, gefährliche Riesenrund des Zuschauerraumes. Logen, Ränge, Parkett, die Orchesterversenkung wie eine Höhle, in die man hineinstürzen konnte. Und in diesem Raum würden zweitausend Menschen sitzen, viertausend kritische Augen – die Bestie Publikum, die Gericht saß über seine Stimme.
Franz Krone blickte empor zu den Beleuchtern. Er sah die großen Scheinwerfer auf sich gerichtet, er sah in dem himmelhohen Kulissenraum des Schnürbodens Schiffsmasten hängen – »›Fliegender Holländer‹ von Wagner«, dachte er –, die Vorderseite eines Kerkers hing an vielen Seilen – ›Troubadour‹ von Verdi –, eine wundervolle, verschnörkelte Rokokofassade – ›Cosi fan tutte‹ von Mozart –, und Franz Krone kam sich vor wie in eine Welt versetzt, die aus den bunten Seiten eines Märchenbuches gestaltet war.
An der rechten Seite, an einem großen Pult
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