Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
voll mit Schaltern und Klingelknöpfen, stand der Chefinspizient in seinem weißen Mantel. In der Mitte der sechsten Parkettreihe flammte eine Lampe auf. Dort hatte man ein Pult über die Vorderlehne gestülpt mit Telefonverbindung zu allen Beleuchterbrücken und Inspizienten. Intendant Dr. Fischer saß hinter dem Pult; um ihn der Regisseur Erich Vandenbelt, ein Holländer, der Generalmusikdirektor Professor Hans Bucher und der Erste Dramaturg der Staatsoper. Vor dem Orchester stand der Zweite Kapellmeister. Professor Bucher würde erst die zweite Hauptprobe, die Generalprobe und die Premiere dirigieren.
    Einige Sofitten standen auf der Bühne herum, die Rückwand einer Kirche – das erste Bild aus ›Tosca‹ – schwebte vom Schnürboden herab und wurde von einigen Bühnenarbeitern auf dem Bühnenboden verankert. Aus einer Versenkung, die plötzlich wegsank und wieder emporstieg, kam ein Malergerüst hervor, das an die linke Seite gestellt wurde. Das Gitter einer Gruft wurde herangeschoben … »Bitte blaurot!« rief eine Stimme, und einige Scheinwerfer hüllten die Bühne in ein ungewisses, gedämpftes Licht, während die anderen grellen Lampen erloschen.
    Die erste Probe mit improvisiertem Bühnenbild und Beleuchtung begann. Das Orchester stimmte die Instrumente – Dr. Fischer unterhielt sich laut mit Professor Bucher, Regisseur Vandenbelt gab noch einige Hinweise für den Darsteller des Scarpia und des Angelotti.
    »Bühne frei!« Ein lauter Ruf vom Regiepult her. »Beleuchtung fertig?«
    »Alles klar!«
    »Bitte beginnen!«
    Der Zweite Kapellmeister hob den Taktstock, die Einleitung zur ersten Szene tönte zu Franz Krone herauf.
    Die Arie ›Wie sich die Bilder gleichen …‹
    In diesem Augenblick sah er Sandra Belora durch die Seitenkulisse kommen. Sie lehnte sich an ein Versatzstück neben einem hellgrauen Vorhang, der die seitlichen Räume der Bühne von der Hauptbühne abtrennte. Sie hatte das schwarze Haar offen und war geschminkt. Auch ihr ›Tosca‹-Kostüm trug sie schon, zu dem die modernen, hellen Sommerschuhe lächerlich wirkten.
    Sie winkte ihm zu, in einer Vertraulichkeit, die ihm vor all den neuen Kollegen peinlich war. Er wandte sich ab und ging an die Staffelei, die man ihm hingestellt hatte, nahm – wie es seine Rolle vorschrieb – ein halbfertiges Bild mit dem Kopf Toscas von der Wand und begann, nach einem kurzen Seitenblick auf den Dirigenten, der ihm den Einsatz gab, die Arie.
    Er sang sie voll, mit seiner reinen, klaren, weichen und doch weittragenden Stimme. Er übertönte das Orchester, seine Stimme flog in den riesigen, dunklen Raum und schwoll über die Musik hinweg zu einem Jubel des Gesanges.
    Dr. Fischer sah zu Generalmusikdirektor Professor Bucher hinüber. Bucher hatte den Kopf auf die Hände gestützt und sah zu Franz Krone hinauf. Als er kurz zur Seite blickte, sah er das Gesicht des Intendanten.
    »Ein ungeheures Naturtalent«, sagte er leise. »Noch etwas verkrampft, aber das gibt sich mit der Erfahrung. Ich gratuliere zu dieser Entdeckung, Fischer …«
    »Danke.« Regisseur Vandenbelt beugte sich herüber. Er hatte eine dunkle Sonnenbrille auf, seine Augen waren gegen Scheinwerfer überempfindlich.
    »Wenn Krone bei der Premiere auch so singt, gibt es eine Sensation in München«, flüsterte er Dr. Fischer zu.
    Angelotti kam auf die Bühne. Er flüchtete in die rechts auf der Bühne liegende Gruft. Vandenbelt drückte auf einen Knopf am Regiepult. Die Musik erstarb.
    »Vier Takte zu früh, Hans!« rief er dem Sänger zu. »Und nicht zu schnell. Die Leute wollen ja sehen, wer da über die Bühne rast!«
    Er hob den Hörer des Telefons ab und sprach mit der Beleuchterbrücke, dann hob er die Hand.
    »Noch einmal: Abgang des Mesners … Einsatz …«
    Die Probe ging weiter, bis zum Auftritt der Floria Tosca.
    Sandra Belora kam auf die Bühne und küßte Franz Krone ungeniert auf die Lippen. Vandenbelt klopfte ab.
    »Das gehört nicht zur Rolle!« rief er laut. »Ich bitte, sich an das Textbuch zu halten. Noch einmal …«
    Sandra Belora blieb auf der Bühne neben Krone stehen. Sie sah über das Orchester hinweg zu dem Regiepult hin.
    »Ich habe eine andere Auffassung von der Rolle als das Textbuch und Sie, Vandenbelt!« rief sie zurück.
    Dr. Fischer sah zu Professor Bucher hinüber. Dieser nickte und winkte resignierend ab. Das alte Lied, hieß das, Starallüren, Probenkrach, Kraftprobe zwischen Regisseur und Diva. Er zog sein Taschentuch heraus und schneuzte sich laut.

Weitere Kostenlose Bücher