Ein Mensch wie Du
Sandra Belora fuhr zur Seite herum.
»Gesundheit, Herr Generalmusikdirektor!« rief sie kampflustig.
»Danke! Danke!« Professor Bucher lächelte breit. »Wenn Sie mal verschnupft sind, Sandra, ich leihe Ihnen gerne mein Taschentuch …«
Dr. Fischer grinste, Vandenbelt biß sich auf die Lippen, auf der Bühne, hinter den Kulissen und Vorhängen gluckste es vor Vergnügen. Sandra Belora spürte es, sie wurde blaß und trat an den Souffleurkasten heran. »Bitte weiter!« rief sie dem Zweiten Kapellmeister zu.
Vandenbelt erhob sich. »Frau Belora«, sagte er sanft, aber bestimmt, »wir haben heute die erste Bühnenprobe. Ich möchte Sie herzlichst bitten, den Krach bis zur Generalprobe unbedingt zurückzustellen. Dann wissen wir wenigstens, daß die Premiere für alle ein Erfolg wird!«
Wütend rannte Sandra von der Bühne.
Franz Krone stand an seiner Staffelei, Palette und Pinsel noch immer in den Händen, und sah dem Schauspiel verständnislos zu. Erst, als die Probe des ersten Aktes, diesesmal ohne Zwischenfälle, zu Ende war und er neben Sandra in deren weißem De-Soto-Wagen hinaus nach Schwabing in ein hübsches Lokal zum Mittagessen fuhr, machte er seiner Verwunderung Luft.
»Warum hast du dieses Theater gemacht?« fragte er. »Es war peinlich, daß du mich einfach geküßt hast.«
Sandra sah ihn kurz an, ehe sie mit großer Geschwindigkeit weiterfuhr. »Mein Liebling«, sagte sie, »auch das ist etwas, was du noch lernen mußt: Der Star hat immer recht! Er muß recht haben, sonst sinken seine Gagen. Nur wer zeigt, daß er der Stärkere ist, kann erwarten, daß man ihn achtet! Ein bißchen Theater, ein kleiner Streit, ein Nervenzusammenbruch, ein gemäßigter Tobsuchtsanfall, und schon steigst du im Wert.«
»Das finde ich gemein und ekelhaft.«
»Mich?«
»Dieses System, sich Ruhm mit Hysterie zu erobern.«
Sandra lachte laut und bog sich beim Fahren zurück. »Der Naturbursche auf der Bühne!« rief sie fröhlich, als habe sie gar nicht gehört, was Krone gesagt hatte. »Wir würden ein wundervolles Paar, mein Liebling … Wir könnten Intendantenkassen sprengen!«
Als sie in die stille Vorstadtstraße einbogen, in der, von außen unscheinbar, das meistens von Künstlern besuchte Lokal lag, war Franz Krone um eine Erfahrung reicher geworden.
Er wußte, wie er sich nie benehmen würde, selbst wenn er einmal so berühmt sein sollte wie Sandra Belora. Und im Inneren beschloß er, durch Liebe und immerwährende Mühe Sandra so zu formen, daß sie eine Frau wurde, die er nicht nur liebte ihres erregenden Körpers und ihrer Augen wegen, deren Blick ihn willenlos machte …
In Köln ging unterdessen das Leben Gretas weiter, so wie es seit Jahren in der gleichbleibenden Bahn gelaufen war, nur ab und zu unterbrochen durch die glücklichen, verliebten Stunden, die ihr Herz randvoll ausfüllten und von denen sie jetzt nach dem Fortgang Franz Krones zehrte.
Sie schrieb ihm jeden zweiten Tag. Sie erzählte ihm, wie der Tag gewesen war, was sie getan hatte; sie berichtete von all den kleinen Erlebnissen und den wichtigen und unwichtigen Dingen, und sie war glücklich, wenn er kurz zurückschrieb und sich über ihre Zeilen gefreut hatte.
»Die Arbeit ist anstrengend«, schrieb er einmal. »Jeden Tag mehrere Stunden lang Proben, abends das Studium der neuen Rolle, die ich singen soll – den Lyonel in ›Martha‹. Ich komme kaum zur Ruhe und wäre so froh, wenn du hier wärest. Aber leider geht es ja nicht …«
Von Sandra Belora schrieb er nichts … Greta kannte sie ja auch nicht, und sie ahnte nicht, daß er seit einer Woche nicht mehr bei Dr. Fischer wohnte, sondern mit Sandra in einer mondän möblierten kleinen Wohnung draußen in Pasing. Sie schrieb ihre Briefe alle an die Adresse der Oper, und er setzte als Absender auch die Opernanschrift auf seine Kuverts.
In diesen Wochen gönnte sich Greta nicht die kleinen Extrafreuden wie einen Kinobesuch, eine Tasse Kaffee mit Sahnetorte in einem Café am Ring oder ein Paar neue Perlonstrümpfe (sie ließ die Laufmaschen von drei Paar aufnehmen, das erfüllte den Zweck). Sie legte statt dessen jeden Pfennig weg, trug ihn auf ihr Postsparbuch und träumte des Abends, wenn sie allein in ihrem kleinen Zimmer in Sülz am Fenster saß und auf die stille Straße blickte, von ihrer Zukunft in München. Wie schön würde es werden, wenn Franz und sie nach der Premiere heiraten und sich eine Wohnung suchen würden, Möbel kauften, Gardinen, Teppiche, Geschirr,
Weitere Kostenlose Bücher