Ein Mensch wie Du
Schon einmal sind Sie an einer angeblichen inneren Verpflichtung zerbrochen … Das darf sich nicht wiederholen.«
»Nein, Herr Professor.«
»Sie müssen frei sein! Sie gehören nicht einem Mädchen allein – Sie gehören ab morgen der ganzen Welt! Das ist ein schweres Los, eine große Verpflichtung, eine Last, die Sie erst spüren werden in ihrer ganzen Schwere, wenn Sie sehen, daß wirklich eine Welt auf Ihre Stimme blickt und sich von ihr Schönheit, Erholung, Ergriffenheit und Beglückung erhofft – und bekommen wird!«
Franz Krone nickte. »Ich soll Gloria nicht kommen lassen?«
»Auf keinen Fall!« Caricacci erhob sich und räumte die Gläser zusammen. »Es sei denn, Sie lieben sie wirklich und haben die Absicht, sie zu heiraten! Dann allerdings … Aber das kann ich nicht beurteilen.« Er wollte von der Terrasse ins Zimmer gehen, als er plötzlich stehen blieb. »Da fällt mir ein … Was macht eigentlich das deutsche Mädchen …? Wie hieß es doch noch …?«
»Greta …«, sagte Corani leise.
»Richtig. Greta! Sie haben nichts mehr von ihr gehört?«
»Nein. Ich wollte es auch nicht …«
»Ach!« Caricacci lächelte vor sich hin. Er ahnte, was Francesco Corani dachte. »Wenn Sie Italien erobert haben, werde ich dafür sorgen, daß Sie auch auf deutschen Opernbühnen singen!« sagte er freundlich.
Corani fuhr herum. »Bitte nein!« rief er erregt.
»Aber warum denn? Bühne bleibt doch Bühne, und die Opern sind auch die gleichen! Nur die Umgebung ist anders … Auf der einen Bühne stinkt es mehr nach Leim, auf der anderen mehr nach Farbe und Leinwand. Mal treten Sie von rechts, mal von links auf, wie es der Regisseur eben will. Stehen Sie dann aber im Scheinwerfer vor dreitausend oder viertausend Augen, dann ist alles dasselbe!«
Francesco Corani nickte. »Wie Sie wollen, Caricacci. Ich singe auch in Deutschland.«
»Bravissimo!« Caricacci stieß die Tür auf und betrat den Musiksalon. »Ich rufe noch Giulio an … Wir werden morgen um elf Uhr vormittags zur Probe kommen.«
Am nächsten Vormittag um elf Uhr wurde in der Oper Roms, auf der großen Bühne vor den goldenen Logen, der Sänger Francesco Corani geboren.
Intendant Giulio klatschte sich die Hände rot, die Musiker des Orchesters hieben an ihre Instrumente, südländische Begeisterung umbrauste ihn, die Sängerin der Tosca, die bekannte Sopranistin Emilia Gelatti, umarmte ihn stürmisch – es war alles so unwirklich, so traumhaft, daß Francesco Corani erst zum Bewußtsein kam, als er im Zimmer Giulios saß und ihm ein dicker Vertrag zugeschoben wurde. Caricacci hielt ihm einen Federhalter hin und erläuterte die einzelnen Punkte. »Zunächst ein Jahr Oper Rom, dazwischen Gastspiele, die wir noch abschließen. Sie werden in Rom für zehn Opern verpflichtet, mehr nicht! Von allen Gagen erhalte ich zwanzig Prozent.« Caricacci lachte. »Sie sehen, ich habe Sie nicht umsonst entdeckt, Corani. Ich will mit an Ihrer Stimme verdienen. Der Mensch ist egoistisch, und außerdem will ich leben. Zwanzig Prozent – einverstanden?!«
»Selbstverständlich, Caricacci.«
»Ferner verpflichten Sie sich, nie selbst Auto zu fahren.«
»Haben Sie Angst, ich fahre einen Baum um?«
»Das nicht – aber der Baum ist stärker als der beste Wagen. Ein Sänger mit gebrochenem Genick ist kein Geschäft.«
»Gut!« Francesco Corani – der Franz Krone aus dem Vorgebirge Kölns war mit diesem Tag ausgelöscht – nahm den Federhalter und unterschrieb den Vertrag in sechsfacher Ausfertigung. Er legte den Halter nach den Unterschriften hin und schob Giulio die Blätter wieder zu. »So«, sagte er. »Und nun habe ich einen Wunsch! Monatelang hat mich Caricacci gedrillt, monatelang habe ich nur die Via Appia gesehen und ein Stück Garten und die flache Campagna! Bevor ich die erste Oper in Rom singe, will ich erst Urlaub machen!«
»Corani!« rief Giulio entsetzt. »Ich habe gedacht, die nächste Premiere ist mit Ihnen?!«
»Die übernächste, Giulio!« Corani erhob sich. »Ich will sechs Wochen nichts mehr von Musik und Opern hören. Dann aber sollen Sie mich mit Haut und Haaren haben.«
Caricacci nickte Giulio zu. »Lassen wir ihn fahren, Giulio. Um so besser wird er singen.«
Am Sonnabend darauf reiste Francesco Corani nach Sizilien ab und mietete sich in Taormina in einem kleinen Albergo ein, wo er vier Wochen lang nichts tun wollte als in der Sonne liegen, im tintenblauen Mittelmeer baden und den süßen, schweren Marsala-Wein trinken. Er lieh
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