Ein Mensch wie Du
…«
»Sandra ist meine Partnerin.«
»Mehr nicht?«
Er schwieg und ging zu dem Feuer des Kamins. Mit dem Fuß stieß er einen neuen Buchenklotz in die Flammen, die Funken sprühten bis auf den gemauerten Rand. »Warum bist du gekommen, Greta?« fragte er, ihr noch immer den Rücken zudrehend.
»Um Abschied zu nehmen, Franz. Abschied von dem Franz Krone, dem Gärtner des rheinischen Vorgebirges, den ich einmal sehr, sehr liebte. Ich habe geglaubt, noch ein Stück, ein kleines, ganz kleines Stückchen von ihm hier zu finden – aber wer da am Kamin steht, ist Francesco Corani, voll und ganz Corani, der Liebling der Massen. Ich habe zwei Jahre auf den Augenblick gewartet, an dem ich dich wiedersehen durfte. Ich habe nie an deinen Tod geglaubt wie etwa Professor Glatt – ich habe es gefühlt, hier drinnen in der Brust, mit dem Herzen gespürt, daß du lebst und eines Tages wiederkommst. Aber nicht so wie heute, nein, so nicht!«
Sie zuckte mit den Schultern – es war eine Geste des Fatalismus, der Schickung in das Unvermeidliche. »Aber nun bist du da, und es fällt mir leicht, Abschied von dir zu nehmen, weil du nicht mehr der Mensch bist, den ich einmal liebte. Du bist ein Fremder – du müßtest es eigentlich selbst sehen, wenn du in den Spiegel schaust. Deine Augen sind anders, dein Mund, dein Lächeln ist gespielt, dein Glück ist Schminke, du spielst Theater, eine immerwährende Oper …« Sie knöpfte sich den Mantel zu und zog den Schal höher. »Leb wohl, Franz. Ich habe mich getäuscht – Franz Krone ist doch gestorben …« Corani drehte sich herum und streckte die Hände nach ihr aus. In seinem Gesicht lag die Qual des Augenblicks, in dem auch er erkannte, wie recht Greta mit ihren Worten hatte. »Ich werde oft Ihre Stimme hören, Herr Corani«, sagte sie leise. »Aber sie wird mir fremd sein. Eine herrliche Stimme, die ich hören werde wie die Stimme Giglis oder Mario del Monacos. Leben Sie wohl, Herr Corani …«
»Greta!« Es war ein Aufschrei, er wollte zu ihr hinstürzen, aber sie hatte bereits die Tür geöffnet und war in die Halle getreten, wo der Diener stand, steif, mumienhaft. Er schloß die Außentür auf und verbeugte sich leicht.
Corani stand im Salon und starrte ihr nach, wie sie das Haus verließ. In seinem Gesicht zuckte es, er hatte die Hände in die Lehne des Sessels gekrallt und zitterte am ganzen Körper.
Eine Stimme an der Tür schreckte ihn auf.
»Soll ich Herrn Corani eine Erfrischung bringen?« fragte der Diener. Sein Gesicht war ausdruckslos, fast ledern.
»'raus!« brüllte Corani auf. »'raus! Lassen Sie mich allein! Alle, alle laßt mich allein! Ich will keinen mehr sehen! Keinen!«
Er stürzte auf die Tür zu und schlug sie vor dem Diener zu. Wie irrsinnig rannte er dann in dem großen Salon hin und her, bis er vor einem langen, venezianischen Spiegel stehen blieb.
»Sieh in den Spiegel«, durchfuhr es ihn. »Du bist ja nicht mehr du selbst …«
Er starrte sein Bild an. Den schmalen Kopf, die tiefliegenden fiebrigen Augen, die hagere Gestalt, den zusammengekniffenen Mund. Er sah sich an, lange prüfend, schwer atmend … Dann nahm er einen Leuchter von dem Kamin und warf ihn mit einem Aufschrei in den wertvollen Spiegel. Klirrend zersprang das teure Glas, der handgeschmiedete Rahmen polterte auf den Teppich.
Durch die Tür kam der Diener. Er trug einen Handfeger und eine kleine, silberne Schippe herein. Stumm bückte er sich und begann, die Scherben sorgsam aufzufegen.
Den Mann in der Kaminecke beachtete er nicht. Er kehrte um ihn herum und verließ dann stumm das Zimmer.
Durch das Knistern des Feuers flatterte dünn ein Schluchzen. Francesco Corani, der große Tenor, weinte.
Der Stern Francesco Coranis leuchtete weiter.
Die beiden noch vertraglich gebundenen Abende in München sang er mit gewohnter Virtuosität. Niemand merkte ihm an, daß er innerlich seit der Begegnung mit Greta Sanden zerrissen war, selbst Caricacci nicht, der sonst ein sehr feines Gefühl für die seelischen Zwischentöne entwickelte und die sensible Natur Coranis genau kannte. Nur Sandra spürte, daß Corani anders war, stiller, in sich gekehrter, nachdenklicher und manchmal – vor allem, wenn sie hungrig nach Zärtlichkeit sich ihm näherte – ungebärdig und schroff in seiner Abwehr, die sie beleidigte.
Den zertrümmerten Spiegel hatte Dr. Fischer ihm nicht übelgenommen, obgleich es ein Erbstück war. Corani erklärte es mit einer Ungeschicklichkeit. Er habe einen Leuchter vom
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