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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erkältet«, dachte er einen Augenblick. »Sicherlich ist es eine Grippe, die noch zum Ausbruch kommen wird. Das deutsche, rauhe, feuchte Klima … Ich bin es nicht mehr gewöhnt. Ich bin verweichlicht worden durch den Süden, überzüchtet wie ein Rennpferd, das bei dem geringsten Zug den Husten bekommt und in warme Decken gepackt wird. Ich bin eine Mimose, die beim geringsten Luftzug zusammenfällt. Was ist von dem alten Franz Krone übriggeblieben, von diesem wetterharten Gärtnerburschen, der im Regen zwischen den Beeten stand und jätete und Unkraut rupfte und dabei singen konnte, ohne heiser zu werden?! Corani bin ich, Francesco Corani – eine Wunderblume des Gesanges, ein Treibhausgewächs aus dem Garten Caricaccis, eine Victoria regia, die man so präpariert hat, daß sie nicht nur eine Nacht, sondern Monate, Jahre blüht!«
    Sandra hatte die Arie beendet. Die zweitausend Menschen jubelten. Sie verbeugte sich; ihr flammendrotes Kleid mit den Pailletten glitzerte, als brenne sie wirklich. Caricacci klatschte hinter der Bühne mit und gab Corani einen leichten Stoß in den Rücken.
    »'raus, Francesco«, sagte er leise. »Denk daran, daß Hollywood mithört …«
    Corani betrat die Bühne von der anderen Seite, nachdem Sandra Belora sie, sich immer verbeugend, verlassen hatte. Er trat in den Scheinwerferkegel hinein und verneigte sich leicht.
    Ein großer, schlanker, gutaussehender Mann in einem Frack, der auf seine Figur wie eine zweite Haut geschneidert war.
    Der Beifall schwoll an, in ihn hinein begann das Orchester das Vorspiel der Arie. ›Land, so wunderbar …‹ Die Arie des Vasco aus der Afrikanerin von Meyerbeer.
    Atemlose Stille herrschte in dem weiten Saal, als die Stimme Francesco Coranis erklang. Es war, als hielten die zweitausend Menschen den Atem an, als wagten sie nicht mehr zu atmen, um diese Stimme nicht zu stören, um jeden Ton zu ergreifen, der rein, mit einem einmaligen Klang zu ihnen herabströmte und ihr ganzes Wesen mit einer nicht erklärbaren Ergriffenheit gefangennahm.
    Der Saal war dunkel. Nur die beiden ersten Reihen hinter dem Orchester waren zu sehen, bleiche Köpfe mit großen, aufgerissenen Augen, unwirklich, gespensterhaft, eine Galerie von Schädeln, die frei im dunklen Raum lagen wie in einer Schauergeschichte von Poe.
    Corani sah in das Dunkel hinein und sang. Er dachte einen Augenblick an Caruso, der gesagt haben soll: »Wenn ich das hohe C singen will, kneife ich mein Hinterteil zusammen und stoße es von mir weg …« Und da war es, das C, da gellte es durch den weiten Raum, rein, wie ein Ton, der mit einem stählernen Hammer aus edlem Erz geschlagen wurde, sieghaft, unüberwindlich, unnachahmlich stand der Ton als Fermate im Raum, das Orchester schwieg, die Augen der zweitausend Menschen wurden starr, ungläubig, verwirrt, denn sie standen einem Wunder gegenüber, das trotz der Gegenwart fast unbegreiflich schien. Der Dirigent hob wieder den Stab, das Orchester setzte ein …
    In diesem Augenblick brach die Stimme!
    Sie brach einfach mitten durch, sie halbierte den Ton, sie sank ab, sie verlosch wie eine heruntergebrannte Kerze, deren Flamme allmählich erlischt. Die Arie des Vasco zerflatterte, sie war in dem einen Augenblick nicht mehr da … Corani sah hinab zu dem entgeisterten Dirigenten, er reckte sich auf, er spannte die Stimmbänder an, er wölbte die Brust heraus. In seinen Augen stand maßloses Entsetzen, als er die Arme vorstreckte. Alle Luft, die ausgereicht hätte, die Arie in einem Atem durchzusingen, stieß er in die Kehle und gegen die Stimmbänder.
    Die Kehle schwieg. Nur ein heiseres Krächzen flatterte dünn zu dem Orchester, ein Stöhnen fast, aber kein Ton mehr.
    Caricacci stand in der Seitenkulisse und schwankte. Über sein Gesicht lief plötzlich kalter Schweiß, es war ihm, als erlebte er noch einmal das Erdbeben von Epidauros und stände in der verschütteten Höhle, ohne die Hoffnung, wieder herauszukommen. Die Luft wurde dünn, immer dünner, er rang nach Atem, er erstickt … Sandra, die neben ihm stand, war in dem Augenblick, als die Stimme Coranis brach, zu keiner Regung fähig. Ihr Gesicht war wächsern, als Corani mitten in der Arie, stumm, mit den Händen zu den erstarrten zweitausend Menschen hin um Verzeihung bittend, die Bühne verließ und müde, wie ein Zerschlagener, an Caricacci vorbei zu seiner Garderobe ging.
    Der Generalintendant behielt als einziger den klaren Kopf. Er faßte Sandra an die nackte Schulter und drehte sie zu

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