Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Menü zum Verlieben: Roman (German Edition)

Ein Menü zum Verlieben: Roman (German Edition)

Titel: Ein Menü zum Verlieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Bratley
Vom Netzwerk:
schloss, Dad mich an den Beinen herauszog und so fest drückte, dass mir die Luft zum Schreien fehlte.
    »Jetzt gibt es nur noch uns drei«, erklärte er, als wir taub vor Schmerz, mit blassen Gesichtern und tief liegenden Augen, eingepackt in unsere Mäntel, nach Hause fuhren.
    »Wir drei gegen den Rest der Welt«, sagte er.
    Als weder Daisy noch ich antworteten, schob er eine CD der Beatles in den CD-Player im Auto ein und stellte die Musik laut. »Das war das Lieblingslied eurer Mum«, stieß er nach wenigen Takten mit erstickter Stimme hervor.
    War. Ich schaute zum Fenster hinaus und sah den Morgen über London anbrechen. Ein rosa gestreifter Himmel zog über den Dächern der grauen Gebäude auf. Jogger liefen die Straße entlang, Müllwagen und Busse fuhren an uns vorbei, und Cafés machten auf. Es war, als wäre überhaupt nichts passiert, als wäre es ein ganz normaler Tag, während ich Dad zuhörte, wie er in unserem kleinen Renault aus voller Lunge Here Comes the Sun sang. Auf dem Boden lag eine leere Chipstüte, Mums Anti-Atomkraftplaketten klebten hinten auf dem Kofferraum, und vom Beifahrergurt drang der Duft von Mums Parfum, Chanel N°19, herüber. Dad sang sich die Kehle aus dem Leib; sang für sie, meine Mum, seine Frau, den wichtigsten Menschen für uns alle. War.
    Als wir zu Hause ankamen, machten wir einen Riesenbogen um den Küchentisch, der einmal das Herzstück unseres Familienlebens gewesen war. Nun, ohne Mum, stand keine Vase mit frischen Schnittblumen mehr darauf, und aus dem Ofen drang kein köstlicher Duft. Keine Dose mit selbst gemachten Keksen, kein riesiger, mit Sahne und Erdbeermarmelade gefüllter Biskuitkuchen erwartete uns auf der Mitte des Tisches. Kein freundlich lächelndes Gesicht lud uns ein, uns hinzusetzen, zu essen, zu reden, uns zu umarmen und zu lachen. Wir vermieden es, zu den Essenszeiten zusammenzukommen.
    Stattdessen aßen wir zwischendurch Cracker mit Käse oder nahmen etwas von dem, was verschiedene Tanten uns in großen Glasschüsseln, mit hingekritzelten Kochanleitungen dagelassen hatten. Dad konnte überhaupt nicht kochen und unternahm in dieser Richtung auch keinerlei Anstrengungen. Ich versuchte mit ihm zu sprechen, ihn so aus seiner Trauer herauszureißen, doch er verlor für mehrere Wochen völlig seine Stimme und antwortete nicht einmal. Ich versuchte mit Daisy darüber zu reden, wie wir Dad – wie wir uns alle – aufmuntern konnten, doch sie knallte mir die Tür ihres Schlafzimmers ins Gesicht und ließ mich mit meiner Trauer allein.
    Da ich nicht mehr weiterwusste, beschloss ich, unter Zuhilfenahme der Ratschläge diverser Tanten, kochen zu lernen. Ich machte es mir zur Aufgabe, die Rezepte meiner Mutter auszuprobieren, die unser Leben so bereichert hatten. Ich nahm Mums Rezeptbücher, las sie Wort für Wort durch, kochte für Daisy und Dad einfache Mahlzeiten und rief sie zu Tisch. Manchmal war das Essen gut, manchmal ungenießbar, doch Dad legte immer seine Hand auf meine und dankte mir mit feuchten Augen, während Daisy stets den Teller wegschob und erklärte, sie wäre nicht hungrig.
    »Auch wenn unsere Herzen leer sein mögen, haben wir doch zumindest volle Mägen«, lautete Dads Kommentar. »Danke, Eve.«
    In diesen Momenten war ich unglaublich stolz. Ich wusste, dass meine Mutter sehr zufrieden mit mir wäre, von wo auch immer sie uns beobachtete. Ich wusste, dass Kochen und gutes Essen für ihre Familie ihr Rezept für ein gelungenes Leben waren. Und dieses Rezept wollte ich übernehmen. Ich wollte, so gut es ging, in ihre Fußstapfen treten und das Haus mit jener Wärme erfüllen, die sie verströmt hatte.
    In diesen Momenten sah ich hinter der Trauer eine Zukunft. Eine Zukunft, in der wir eines Tages wieder alle am Tisch sitzen könnten. Und so begann auch Dad nach einer Weile, sich zu bemühen, wieder zu leben. Er hielt seine Trauer um Mum tief versteckt und die Erinnerung an sie lebendig, indem er ständig von ihr sprach; auch wenn wir sie nicht sehen und berühren konnten, war es fast so, als wäre sie nur im Zimmer nebenan und würde dort auf uns warten.
    Wir lernten weiterzuexistieren. Ich kochte und Dad aß. Wir sprachen über Mum. Sprachen darüber, was sie getan oder gesagt hätte. Ich versuchte, Daisy mit Kuchen aus ihrem Zimmer zu locken, die ich nach Mums Rezepten gebacken hatte, doch sie zog sich völlig zurück. Sie weigerte sich, auch nur irgendetwas von dem, was ich gekocht hatte, zu essen. Wenn sie es dann doch einmal tat, genoss

Weitere Kostenlose Bücher