Ein Mistkerl zum Verlieben
alles einmal zuviel wurde. Sie hat sich irgendwann gar nicht mehr um mich gekümmert. Ich war unterernährt, schmutzig und konnte für mein Alter kaum sprechen. Wären meine Pflegemutter und meine Pflege-Großmutter nicht gewesen, wer weiß, was aus mir geworden wäre.“ Er blickte zum Horizont, an dem die Sonne bereits fast untergegangen war.
„ Das tut mir leid“, sagte Vicky und strich unvermittelt Marks Rücken entlang.
„ Ich schätze, deshalb bin ich ein so verhärmtes Arschloch geworden. Das hat bestimmt mit der Prägephase als Baby zu tun“, sagte er, drehte sich ihr zu und blickte sie an.
„ Du bist kein Arschloch“, entgegnete Vicky. „Du…du kommst nur hin und wieder wie eines rüber. Doch mittlerweile hab ich festgestellt, dass du ein ganz netter Kerl bist!“ Sie boxte ihn freundschaftlich in den rechten Oberarm.
„ Ein netter Kerl? Du weißt doch wohl, wer nett ist?“
„ Wer ist nett?“
„ Nett…das ist der kleine Bruder von Scheiße!“ für einen Augenblick kam er ihr nahe und sah ihr tief in die Augen. Dieses Mal wich sie nicht zurück.
19
Kurze Zeit später gingen Vicky und Mark die Straße entlang. Links und rechts von ihnen säumten große Häuser den Asphalt, gepflegte Vorgärten reihten sich nebeneinander auf und der Mond tauchte die Gegend in sein kühles Licht. Sie hatte sich entschlossen, einen kleinen Spaziergang zu machen, die Straße entlang, die Vicky in ihrer Jugend jeden Abend entlang spaziert war und Mark begleitete sie. Es war für sie ein kleiner Triumph, dass er Tiffany, die ihn vehement dazu überreden wollte, den restlichen Abend mit ihr zu verbringen, gegenüber erwähnt hatte, er würde lieber mit Vicky spazieren gehen, als mit ihr in den Whirlpool zu steigen. Vicky wäre beinahe aus den Latschen gekippt, als Tiffany Mark dieses Angebot unverblümt – und vor ihr – gemacht hatte, und auch noch erwähnt hatte, dass sie gar kein Badezeug dabei hatte. Jetzt gingen die beiden die ruhige Straße entlang. Hin und wieder bellte in der Ferne ein Hund, doch ansonsten war alles bis auf das Zirpen der Grillen still. Eine sanfte Brise wehte Vickys Haar leicht zur Seite. Sie fühlte sich fast in der Zeit zurück versetzt und erinnerte sich lebhaft an die vielen Sommerabende, die sie früher, ihre Kopfhörer im Ohr, hier entlanggegangen war. Für sie war es ein Ritual gewesen, jeden Abend eine kleine Runde zu drehen, den Tag Revue passieren zu lassen und über ihre Zukunft nachzudenken. In gewisser Weise hatte sie alles, ihre Ausbildung, ihre Uni- und ihre Berufswahl bei diesen abendlichen Spaziergängen geplant. Sie erinnerte sich, dass sie bis auf ganz wenige Ausnahmen fast jeden Tag hier entlanggegangen war. Eine ganze Zeit lang gingen die beiden schweigend nebeneinander her.
„ Übrigens möchte ich mich aufrichtig bei dir entschuldigen“, begann Mark die Stille zu brechen.
„ Du möchtest dich entschuldigen? Was hast du denn ausgefressen? Eine meiner Cousinen geschwängert? Tiffany?“ scherzte Vicky.
„ Du bist ganz schön frech!“ Mark blieb stehen und schlang seine Arme um Vickys Hüften. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Die Berührung gefiel ihr. Mark blickte in ihre Augen.
„ Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich dir anfangs solche Probleme bereitet habe. Ich…ich war ein Arschloch!“
„ Mh….ja, das könnte man so sagen“, grinste Vicky und ihre Augen funkelten ihn wieder auf diese Art an, die ihn so faszinierte.
Im nächsten Augenblick verschloss Mark ihre Lippen mit einem Kuss. Im ersten Moment verkrampfte sie sich, doch dann gab sie sich ihm vollkommen hin. Es war wundervoll, von Mark geküsst zu werden. Seine Hände strichen fordernd über ihren Rücken, während die ihren in seinem Nacken verschränkt waren. Mark drückte sie an sich und küsste sie intensiver. Nach einer Weile versiegte der Kuss. Vicky und Mark blickten einander tief in die Augen. Noch einmal küsste er sie sanft auf die Lippen. Dann nahm er ihre linke Hand in seine Rechte und legte seine linke ebenfalls darauf.
„Wollen wir noch ein Stück gehen“, fragte er.
„ Okay“, krähte Vicky und war immer noch von dem Kuss überwältigt. Ihre Knie waren weich geworden und zitterten die ersten paar Schritte. Mark nahm ihre linke Hand in seine Linke und drückte sie mit seiner rechten Hand an sich. Wie ein frisch verliebtes Pärchen gingen sie die Straße entlang. Und in gewisser Weise waren sie das auch.
Kurz nach Mitternacht
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