Ein Mörder kehrt heim
hast. Du hattest vor nichts Angst. AuÃer vor dir.
Du betrachtest eine Busladung Japaner. Kleine Menschen mit Kameras. Sie wuseln umher. Bleiben immer in der Gruppe. Sind diszipliniert. Sie ziehen zum Schloss, keiner sondert sich ab. Du findest das gut.
Du blickst dich um, weil du glaubst, dass jemand dir folgt. Aber du erkennst niemanden. Das ist nur ein Beweis, dass die Verfolger gut sind. Vom Fach. Das Gefühl trügt dich nicht. Was wollen diese Leute? Warum geben sie sich diese Mühe, seit einiger Zeit schon? Du hast all die Jahre den Rächer gefürchtet. Jetzt, kurz bevor es zu Ende geht, jetzt erst soll er kommen? Das glaubst du nicht. Aber wer verfolgt dich dann?
4: Am I What I Was Or Am I What I Am?
A n ihrer Stimme hätte er sie nie erkannt. Die war krächzig, wehleidig, undeutlich. Wilhelmina war misstrauisch gewesen, als Matti angerufen hatte. Doch sie gab den Hörer an Ingrid weiter. Sie erinnerte sich sofort. »Na, denn kommt mal.«
Wilhelmina wohnte im dritten Stock. Plüsch, überall. Auf dem Sofa lungerte eine verfettete rotfellige Katze, die nicht mal den Kopf hob, als Matti und Anja eintraten. Ingrid saà auf dem einzigen Sessel, vor sich einen Teller mit Schokoladenkeksen. Matti versuchte sich den Schock nicht anmerken zu lassen. Das musste Ingrid sein, wer sonst? Sie hatte sprödes Haar und die Haut einer Toten. WeiÃ, faltig, wie erstarrt. Die Augen waren leer.
»Glotz nicht so«, sagte Ingrid heiser. »So sieht man aus nach zwanzig Jahren Knast.«
Sie standen nahe der Tür, und Matti wäre fast geflohen. Sein mögliches anderes Leben stand ihm vor Augen. Das, worauf er sich fast eingelassen hätte.
»Setzt euch«, sagte Wilhelmina aufgesetzt freundlich.
Beide quetschten sich neben der Katze aufs Sofa. Die regte sich immer noch nicht.
»Na, Matti«, sagte Ingrid, »immer noch gut dabei?«
»Ja«, sagte Matti. »Immer noch.«
»Nur gehört hab ich nichts mehr von dir, nachdem ich eingefahren war in Stammheim.«
»Ich hab demonstriert für euch«, sagte er.
»So, demonstriert.« Ingrid machte kaum den Mund auf, wenn sie sprach.
»Gegen Isolationshaft und so.«
»Und so.«
Matti erinnerte sich der RAF -Freunde, schwarz gekleidete Gestalten, die mehr jammerten als redeten über die Folterknäste, in denen die politischen Gefangenen gequält würden. Immer dicht am Heulen. Und jeder, der nicht bedingungslos half, lieferte Ulrike und Andreas und Gudrun und Jan ihren Henkern aus. Zu denen hatte er nicht gehört.
»War nicht das Gelbe vom Ei, damals«, sagte Matti.
»Besser, man tut was und irrt sich, als dass man nichts tut und sich nicht irren kann.«
»Besser, man tut was Richtiges«, sagte Anja.
»Wer bist du denn?«, fragte Ingrid. Sie steckte sich eine Selbstgedrehte an.
»Anja. Ich bin Georgs Tochter.«
Jetzt wurden die Augen doch gröÃer, fast wie früher. Doch sie blieben leer. »So, so.« Sie zog an ihrer Zigarette. »Wie hat der das denn hingekriegt?« Sie lachte, und Matti sah eine Zahnlücke zwischen schwarzbraunen Stummeln.
»Georg hat das behauptet«, sagte Matti.
»Wann?«
»Vor ein paar Tagen.«
Ingrid schüttelte den Kopf.
Matti fiel ein, dass es vielleicht kein Zufall war, dass Georg in Berlin auftauchte, als Ingrid entlassen wurde. Ob sie mit ihm etwas unternehmen wollte? Eine Bank und dann ab in den Süden?
»Hat sich Georg bei dir gemeldet?«, fragte Matti.
Sie hob die Augenbrauen und zog an der Zigarette. »Nein.«
»Wann hast du das letzte Mal von ihm gehört?«
»Wird das ein Verhör?«
»Quatsch. Georg ist in Berlin aufgetaucht und hat Anja erzählt, er sei ihr Vater. Dann wurde er ermordet. Das ist die Kurzversion.«
»Echt? Warum?«
»Keine Ahnung.«
Und wie geht die Langversion?«
»Nicht viel anders.«
Ingrid grinste müde. »Ich hab ihn das letzte Mal ein paar Tage vor meiner Verhaftung gesehen. Rechne es dir selbst aus.«
»Danach kein einziges Zeichen von ihm?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich weià nicht mal, ob er ein Schwein geworden ist.«
Bullen sind keine Menschen, sondern Schweine. Sie dürfen erschossen werden. Das hörte Matti in dem Satz.
»Hätte er sich an dich gewendet, wenn er gewusst hätte, dass du rauskommst?«, fragte Anja.
»Einmal zu viel âºhätteâ¹Â«, erwiderte Ingrid.
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