Ein Mörder kehrt heim
nicht helfe, zieht sie allein los«, sagte Matti.
»Sie ist erwachsen. Sie darf das.«
»Sie weià nicht, aufwas sie sich einlässt.«
»Sie hat das Recht, es nicht zu wissen. Und deine Pflicht ist nur, ihr deutlich zu erklären, wie gefährlich das werden kann. Aber sie weià es doch. Immerhin wurde sie überfallen.«
»Sie ist hart im Nehmen«, sagte Matti. »Das macht mir Angst.«
»Ein Typ greift sie an, schieÃt auf sie, und sie tut so, als wäre nichts geschehen. Vielleicht ist nichts geschehen?«
»Du spinnst. Sie macht uns nichts vor.«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Dornröschen.
»Du meinst, Anja schieÃt sich mit Absicht ins Bein?«
Dornröschen schüttelte den Kopf. »Irgendwas ist faul.«
»Klar ist was faul. Eine Menge. Ein Terrorist taucht auf. Eine Leiche im Park. Ein Ãberfall aufAnja.«
»Wenn wir wüssten, warum Georg aufgetaucht ist. Dann wüssten wir vielleicht auch, an wen er sich sonst noch gewendet haben könnte.«
Matti grinste. Neugierig war sie schon. »Ich habe Robert gefragt, aber der weià nur, dass Ingrid ausâm Knast raus ist.«
»Die schöne Ingrid«, sagte Dornröschen nachdenklich. »Die war richtig schlau, die Ingrid.«
»So schön wird sie nicht mehr sein«, sagte Matti.
»Aber noch so schlau. Kennst du die?«
»Georg hat sie mir damals vorgestellt. Er war scharf auf sie. Und sie war scharf« â ein tadelnder Blick von Dornröschen â »wie ein Politkommissar. Ein falsches Wort, und sie hat einen zugetextet.« Er hatte das Bild vor Augen: Sie standen vor der FU -Mensa, Ingrid, Georg, Matti, Robert. »Der Baader ist doch ein Schauspieler, und ein schlechter dazu«, hatte er gesagt. Das war, als in den RAF -Texten der Personenkult um ihn begann, den groÃen Chef, den Guerillakämpfer neuen Typs, den Idealmenschen. Ingrid faltete Matti zusammen. Solidarität mit den Stammheimern und so weiter. Sie riss die Augen auf, wenn ihr was wichtig war. »Vielleicht weià Ingrid was über Georg?«
»Du hast bestimmt schon ihre Adresse rausgekramt.«
»Klar.«
»Natürlich könnt ihr jetzt mit Ingrid reden, und bestimmt ist das völlig ungefährlich. Aber ich weiÃ, wie es endet.«
»Sagte die Prophetin.«
»Verliebtheit und Helfersyndrom, tolle Mischung.«
»Du sagst selbst, Ingrid fragen sei kein Problem.«
»Und dann fragt ihr noch einen, bei dem es kein Problem ist, und noch die, bei der es kein Problem ist, und endet mit ein paar Kugeln im Bauch in der Spree.«
»Landwehrkanal«, sagte Matti. »Wennschon â dennschon.«
»Idiot, gröÃenwahnsinniger.« Dornröschen lachte.
»Wir fragen Ingrid, wenn sie uns überhaupt sehen will, und dann machen wir âne ZK -Sitzung. Okay?«
»Na gut«, sagte Dornröschen. »Ach ja, ich find die Kleine auch ganz nett.«
***
Wenn dich das Lesen ermüdet, und das geschieht bald, nimmst du das Fotoalbum und blätterst. Du siehst dich, wie du jung warst. Du warst stark, du hast gut ausgesehen, die Mädchen haben dich gemocht. Du hast durchgehalten. Du hast alles ausgehalten. Niemand hat dich je schwach gesehen. Am Ende bist du aufrecht geblieben. Immer aufrecht. Du hast nie gewankt. Deine Freunde, die wirklichen Freunde, haben dich bewundert. Du warst ihr Vorbild. Aber die Freunde sind tot. Als letzter starb Fred. Er hieà Friedrich und war Bauer. In einem Dorf zwischen Karlsruhe und Baden-Baden. Du hast ihn dort besucht. Das letzte Mal vor fünf Jahren. Da hat Fred vor der Tür auf dem Schemel gesessen. Der Sohn hatte den Betrieb längst übernommen. Das Alter war die einzige Zeit, in der Fred nicht arbeiten musste. Nur im Krieg hatte Fred Urlaub, aber dann hat er auf dem Hof geschuftet. Fred hatte nie viel gefragt. Er hatte alles getan, was ihm aufgetragen wurde. Solche Leute wie ihn gibt es nicht mehr. Die sich auf andere verlieÃen. Ihre Vorgesetzten, Freunde. Und auf die einer sich verlassen konnte. Fred saà vor der Haustür mit seiner Cordmütze und den Hosenträgern. Er trug immer Schnürstiefel. Die Sonne hatte ihm eine Lederhaut gegerbt. Kleine Augen, ein Büschel kräftiger Haare. Ein Herzinfarkt, schnell und gut. Fred hatte das verdient.
Warum machst du nicht allem ein Ende? Springst vom Balkon. Gehst in den Fluss. SchieÃt dir in den Kopf. Weil du Angst
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