Ein mörderischer Schatten (German Edition)
ein Tier? Er stand einfach nur da, die Arme locker an den Seiten herabhängend und starrte vor sich hin. Sein Gesicht konnte Toni nicht erkennen, mit der Kapuze und in zehn Metern Entfernung im Schatten. Sie riss ihren Blick los, als sie über eine Wurzel stolperte und sah wieder nach vorne. Doch schon nach ein paar Metern blickte sie wieder hinter sich. Ihre Pulsuhr gab plötzlich einen Piepton von sich. Der Alarm, dass Tonis Herzschlag sich zu sehr beschleunigt hatte. Kein Wunder, denn sie hatte erkannt, was es war, was der Mann da so still betrachtete. Sie. Er war ein Stück aus dem Unterholz herausgetreten und stand einfach nur reglos da und sah ihr nach. Toni lief schneller und hoffte, doch noch einen Angler am See zu entdecken. Doch außer dem anderen Mann war keine Menschenseele in der Nähe. Ängstlich sah Toni sich um. Der Mann hatte sich nicht gerührt. Immer noch stand er da und sah ihr nach. Toni rannte, so schnell sie konnte, und wurde erst langsamer, als sie den dicht bewachsenen See hinter sich gelassen und wieder auf dem freien Feld war. Noch einmal sah sie sich um, aber der Mann war ihr nicht gefolgt. Erschöpft blieb Toni stehen und rang nach Atem. Am See entlang joggte sie erst einmal nicht mehr.
„Na, lass mich raten. Menstruation?“
„Was?“ Antonia sah fragend von ihren Unterlagen auf.
„Die Ursache für deine heutige gepeinigte Miene. Wir haben heute erst Dienstag. Also schließe ich Stress mal aus. Die Woche hat ja gerade erst begonnen. Ich tippe deshalb auf Menstruationsbeschwerden.“
Toni zog die Brauen hoch und beugte sich wieder über ihre Papiere.
„Nicht? Dann vielleicht Hormonschwankungen. Denen kann Abhilfe geschaffen werden. Eine Verabredung mit mir und deine Hormone laufen auf Hochtouren.“
Toni schüttelte den Kopf, ehe sie lächelnd aufsah. „Du bist unglaublich. Gibst du eigentlich nie auf?“
„Nein, nicht wenn ich etwas haben will“, gab er gut gelaunt zurück.
Plötzlich verengte Toni die Augen. „Du, äh, hast mir nicht zufällig Pralinen geschenkt?“
Ralf sah sie forschend an. „Was?“
„Vergiss es.“
„Nein, sag schon. Wie kommst du darauf, ich hätte dir Pralinen geschenkt? Ich mein, jetzt wo du es sagst, vielleicht hätt ich es tun sollen. Aber ich dachte, du wärst am abnehmen.“
Toni blinzelte. „ Abnehmen? Nein, wieso?“
„Na, ich dachte. Weil du doch immer Joggen gehst und naja.“ Er musterte den Teil ihrer Gestalt, den er über den Schreibtisch hinweg sehen konnte.
„Danke, Ralf. Jetzt fühl ich mich geschmeichelt“, sagte sie ärgerlich. „Also steckst du nicht hinter den Pralinen, die bei mir vor der Tür lagen?“
„ Wenn ich jetzt ja sag, erhöht das meine Chancen? Aber nein, Antonia, tut mir leid. Aber das bedeutet wohl, dass ich einen Konkurrenten habe. Da muss ich mich ja doppelt ins Zeug legen.“
„Mein Gott. Jetzt lass es doch mal gut sein.“
„Dann geh mit mir essen, und danach lass ich dich in Ruhe.“
Toni klackerte nervös mit ihrem Stift auf die Tischplatte. „Und dann lässt du es gut sein?“
„Ehrenwort“
Noch mehr klackern. „Also gut. Ich geh mit dir aus.“
„Na also! Warum nicht gleich so?“ Ralf lehnte sich zufrieden auf seinem Stuhl zurück und konzentrierte sich auf seinen Bildschirm.
Kapitel 4
Toni blätterte die nächste Seite ihres Buches um, ehe sie es genervt weglegte. Seit sie in der letzten Woche ganze vier Mäuse gefangen hatte, war das Gepolter verschwunden. Doch anscheinend waren noch einige Kameraden übrig geblieben und hatten nun entschieden, dass die Gefahr gebannt war und sie wieder loslegen konnten. Toni zuckte zusammen, als oben wieder ein Geräusch erklang. Das war jetzt schon das zweite Geräusch, das sie in den letzten Minuten vernommen hatte. Es war zwar nicht das Poltern, dafür aber ein leichtes, dumpfes Geräusch, als würde oben jemand laufen. Sie sah auf die Uhr. Zehn. Sie konnte sich nicht helfen. Auch wenn sie wusste, woher die Geräusche kamen, war ihr doch mulmig, wenn sie hier unten saß und die Kinder waren alleine im oberen Stockwerk. Sie würde im Bett weiterlesen, hier hatte sie keine Ruhe. Seufzend klappte sie das Buch zu und erhob sich.
Nachdem Toni alles ausgemacht hatte, erklomm sie müde und gähnend die erste Stufe, als sie einen Luftzug spürte und oben eine Türe knallte. Toni erstarrte. Durchzug. Sie ging zurück in die Küche und schloss das Fenster, welches auf Kipp gestanden hatte. Da hätte sie beinahe das Fenster offen gelassen.
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