Ein Moment fürs Leben. Roman
gekommen, der Augenblick, in dem wir über alles sprechen konnten. Ich trank einen Schluck von meinem Wein und machte mich bereit.
»Ja«, fuhr er fort, »wir waren gerade bei meiner marokkanischen Pastete. Beim
Blake-Geschmack
.«
Erst dachte ich, er meinte das als Witz, aber ich irrte mich gewaltig, denn er begann, mir das traditionelle Rezept samt seinen eigenen Veränderungen daran zu erklären. Ich war so schockiert, dass ich weder verstand, was er sagte, noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Mindestens fünf Minuten lang brachte ich kein Wort heraus. Inzwischen war er schon beim nächsten Rezept angelangt und beschrieb in allen Einzelheiten, wie er marinierte, würzte und das Ergebnis dann vierzig Tage und vierzig Nächte lang köcheln ließ – zumindest klang es so. »Und dann nimmt man etwas Kumin und …«
»Warum hast du mich verlassen?«
Er war so in seine kleine Welt vertieft, dass ihn meine Frage völlig unvorbereitet traf.
»Ach komm, Lucy«, wehrte er ab. »Warum willst du denn darüber reden?«
»Weil ich es angemessen finde«, antwortete ich und versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken – ein aussichtsloses Unterfangen. »Es ist fast drei Jahre her.« Er schüttelte den Kopf und tat so, als wäre er erstaunt, dass schon so viel Zeit vergangen war. »Ich habe nichts von dir gehört, und jetzt ist es auf einmal wieder wie früher, aber es kommt mir vor, als stünde ein riesiger Elefant mitten im Zimmer. Ich denke, wir sollten darüber reden. Ich muss darüber reden.«
Er schaute sich um, ob jemand mithören konnte.
»Okay. Was möchtest du wissen?«
»Warum du mich verlassen hast. Das verstehe ich immer noch nicht. Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe.«
»Du hast nichts falsch gemacht, Lucy. Es lag an mir. Klar, das klingt abgedroschen, aber ich musste mal eine Weile mein eigenes Ding machen.«
»Was für ein Ding?«
»Na, du weißt schon … mein eigenes Ding eben. Reisen und neue Dinge kennenlernen und …«
»Mit anderen Frauen schlafen?«
»Was? Nein, deshalb hab ich dich nicht verlassen.«
»Aber ich bin mit dir gereist, überallhin, wir haben dauernd neue Dinge kennengelernt. Ich hab dir nie gesagt, du sollst nicht das tun, was du willst, oder nicht so sein, wie du wolltest. Nicht ein einziges Mal.« Ich strengte mich an, ruhig zu bleiben, denn ich wusste, wenn ich emotional wurde, konnte ich dieses Gespräch nicht führen.
»Nein, darum ging es nicht«, erwiderte er. »Es war nur … Ich musste etwas alleine tun, weißt du. Du und ich, wir waren noch so jung und haben uns gleich so festgelegt, es war alles so ernst. Wir hatten die Wohnung, unsere – na ja, fünf Jahre zusammen«, stammelte er, was bestimmt für keinen Menschen einen Sinn ergab – außer für mich.
»Du wolltest also allein sein«, sagte ich.
»Ja.«
»Da war keine andere.«
»Nein, Mensch, nein. Lucy …«
»Und jetzt?«, fragte ich, und mir graute vor der Antwort. »Musst du immer noch allein sein?«
»Ach, Lucy.« Er sah weg. »Mein Leben ist kompliziert, weißt du. Nicht für mich, für mich ist es ganz einfach, aber für andere Leute ist es …«
In meinem Kopf schrillten die Alarmglocken. Ich fühlte, wie ich körperlich von ihm abrückte, nicht so weit, dass er es bemerkte, aber so weit, dass ich es fühlte. Ich entfernte mich von ihm, und das nicht nur in einer Hinsicht.
»… spontan und aufregend und voller Abenteuer, und ich bleibe gern in Bewegung und erforsche neue Dinge. Weißt du«, fuhr er fort und begann wieder zu strahlen, »in dieser Woche, die ich in Papua Neuguinea war …«
Zehn Minuten hörte ich ihm zu, wie er von seinem Leben erzählte, und als sich die Episode dem Ende näherte, wusste ich, warum ich hier war. Ich saß neben ihm im Gras, hörte diesem Mann zu, den ich so gut kannte, wie einem Wildfremden, und in wenigen Minuten änderte sich mein Gefühl für ihn vollkommen. Ich sah ihn anders, weniger als Gott, mehr als Freund, als albernen kleinen Freund, der die Orientierung verloren hatte und jetzt berauscht war von seinem Leben, einzig und allein von seinem Leben, von keinem anderen und ganz sicher nicht meinem, denn mein Leben war drinnen im Pub, trank Bier und lauschte irischer Musik, ganz allein, und das nur, weil ich ihn hierhergeschleppt hatte. Auf einmal wollte ich möglichst schnell weg von Blake und zurück zu meinem Leben. Aber ich konnte nicht, ich hatte noch etwas zu erledigen – das, weshalb ich hergekommen war.
Als
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