Ein Moment fürs Leben. Roman
mich daran erinnert hatte.
Am Ende ging alles so schnell. Fünf Jahre waren wir zusammen, wir führten zusammen ein geselliges, fröhliches, erfülltes Leben. Manchmal unterhielten wir uns übers Heiraten und solche Dinge, und obwohl wir noch weit davon entfernt waren, etwas davon in die Tat umzusetzen, herrschte zwischen uns das stillschweigende Einvernehmen, dass wir es irgendwann tun würden. Irgendwann würden wir einander heiraten. Wenn wir erwachsen waren. Aber im Lauf des Erwachsenwerdens verlor ich ihn. Irgendwo unterwegs. Nicht von einem Tag auf den anderen, nein, es passierte nach und nach, und jeden Tag verschwand er ein bisschen mehr. Nicht körperlich, wir waren ja immer zusammen, aber ich hatte das Gefühl, dass er sich zurückzog, dass er irgendwo anders war, selbst wenn wir uns im gleichen Zimmer aufhielten. Dann sagte er mir eines Tages, wir müssten uns unterhalten. Also setzten wir uns zusammen und unterhielten uns. Und das war’s. Na ja, die Unterhaltung kam nach einem wichtigen Gespräch.
Er hatte gerade den Vertrag für seine Reisesendung unterschrieben und begonnen, alleine herumzureisen, vermutlich als eine Art Training. Jedenfalls dachte ich das damals, aber vielleicht war es ja auch viel mehr. Vielleicht suchte er etwas, was er in unserem umgebauten Brotfabrik-Loft nicht finden konnte. Inzwischen geht mir manchmal der Gedanke durch den Kopf, dass er sich vielleicht mit einer anderen Frau traf, aber außer meiner Paranoia gab es dafür keine Anhaltspunkte. Er war in Finnland gewesen, und als er zurückkam, hätte man denken können, er wäre gerade auf dem Mond gewesen oder hätte ein religiöses Erweckungserlebnis gehabt. Unaufhörlich redete er über die Stille, die Ruhe, den Frieden, wie sehr er eins war mit was auch immer bei 40 Grad minus überleben konnte. Immer wieder sagte er mir, ich hätte keine Ahnung, ich würde einfach nicht verstehen, was er meinte. Ich sagte, doch, ich verstünde es. Denn ich verstand die Ruhe, die Klarheit, die zeitlose Zufriedenheit, die man verspürt, wenn man einen perfekten Augenblick erlebt. Ja, das konnte ich alles nachvollziehen. Vielleicht benutzte ich nicht die gleichen Worte wie er, wenn er es beschrieb, vielleicht erstrahlten meine Augen nicht in reinem Eisblau, als würde ich das Himmelstor erblicken. Aber trotzdem verstand ich diese Gefühle.
»Nein, Lucy, du verstehst das nicht, glaub mir,
du
verstehst das nicht.«
»Was meinst du denn damit? Was ist an mir so anders, wieso sollte ich unfähig sein, zu verstehen, wie es ist, wenn man einen Moment unendlicher Zufriedenheit erlebt? Man muss nicht nach Katmandu pilgern, um inneren Frieden zu finden, manche finden ihn hier, mitten in der Stadt. In der Badewanne. In einem Buch. Und einem Glas Wein.«
Darauf folgte die Unterhaltung. Nicht sofort, vielleicht lagen ein paar Tage, vielleicht ein paar Wochen dazwischen. Aber wie auch immer, sie kam danach. Ich hatte genügend Zeit, um zu verdauen, dass er mich für eine andere Art Mensch hielt, für jemanden, der seine Tiefen nicht verstand. Das hatte ich noch nie zuvor gefühlt. Natürlich hatte ich schon immer gewusst, dass wir unterschiedlich waren, aber nicht, dass er es wusste. Es klang wie ein Detail, aber wenn man richtig darüber nachdachte, wurde es grundlegend. Wenn ich reiste, dann reiste ich, um neue Orte zu sehen, wenn er reiste, reiste er, um ein neues Stück von sich selbst zu entdecken. Wenn man selbst damit beschäftigt ist, alle neuen Teile von sich zu finden, ist es vermutlich schwierig, mit jemandem zusammen zu sein, der schon vollständig ist.
Und an dieser Stelle begingen wir eine Dummheit, und Blake verwickelte mich in ein Szenario, das ich jeden Tag meines Lebens bereue und verändern möchte. Natürlich war ich durcheinander. Ich war fix und fertig, so sehr, dass ich Zuflucht in der Religion suchte – in der Silchester-Religion, sich darüber Gedanken zu machen, was »die Leute« sagen werden. Und da schlug Blake mir vor, wenn ich mich dadurch besser fühlen würde, könnten wir den anderen erzählen, dass ich ihn verlassen hätte. Jetzt, wo ich mich in einer mehr oder weniger vernünftigen Verfassung befinde, kann ich nicht mehr nachvollziehen, warum ich mich darauf eingelassen habe. Aber ich habe es getan, und unmittelbar nach der Trennung half es mir tatsächlich, es gab mir in den Gesprächen mit Freunden und Familie die Kraft zu sagen: »Es hat einfach nicht funktioniert. Da bin ich lieber gegangen.« Denn so gab es
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