Ein Moment fürs Leben. Roman
Moment –, und auf eine seltsame Art kam es mir vor, als würde ich es mit ihm erleben. Gemeinsam mit ihm, wie wir es vor Jahren getan hatten. Dann schwenkte die Kamera, und ich sah, was er sah: den Machu Picchu, in voller Größe vor unseren Augen ausgebreitet.
»Hier ist er also, der Machu Picchu, in seiner ganzen Pracht. Ein phantastischer Anblick. Wunderschön«, sagte er, während er den Anblick in sich aufnahm, dann zeigte eine etwas weitere Einstellung, wie er die Aussicht genoss. Schnell drückte ich auf die Pausentaste und studierte wieder die Frauen um ihn herum. Nein, die Gesuchte war nicht dabei. Ich drückte wieder auf Play. Ein Schnitt: Es war jetzt etwas später, er hatte sich den Schweiß von der Stirn gewischt, ein frisches T-Shirt – der gleichen Sorte – übergezogen, sich hingesetzt und sah ausgeruht aus, als hätte er für die Abschlussszene eine Pause zum Luftholen eingelegt. Es folgte eine kleine Zusammenfassung der Reise, und dann der Satz: »Denkt immer daran, dass das Glück eine Reise ist, kein Ziel.« Dann lächelte er – diese Zähne, diese Augen, diese Haare, diese Arme und Hände! All das, woran ich mich so gut erinnerte, wie er neben mir geschlafen, mit mir geduscht, für mich gekocht, mich berührt, mich geküsst und mich verlassen hatte. »Ich wünschte, du wärst hier«, sagte er mit einem kleinen Augenzwinkern. Dann war er verschwunden, und der Nachspann nahm den Platz auf dem Bildschirm ein, wo vorher sein Gesicht gewesen war.
»Ich auch«, flüsterte ich und schluckte schwer an dem harten, dicken Kloß Nichts, der sich in meinem Hals festgesetzt hatte. Mir war flau im Magen, und in meinem Herzen spürte ich den Schmerz, der immer dann kam, wenn der Nachspann vorbei war und mir schlagartig bewusst wurde, dass er nicht mehr da war. Ich wartete, bis es nicht mehr so wehtat, dann hielt ich den Nachspann an und suchte. Ihr Name war noch da, also stellte ich den Laptop an und loggte mich bei Facebook ein, um ihren Status zu checken. Single.
Ich wusste, dass ich irre war, aber ich wusste auch, dass meine Paranoia in vielen Fällen berechtigt und genaugenommen also keine Paranoia war, sondern ein Bauchgefühl, Intuition, Instinkt und meistens korrekt. Aber unsere Trennung war inzwischen fast drei Jahre her, und wie es aussah, waren die beiden immer noch nicht zusammengekommen. Ich wusste ja nicht mal, wie präsent sie als Produktionsassistentin in seinem Leben war, ich hatte keine Ahnung, wie der Arbeitsablauf bei Fernsehsendungen funktionierte. Aber als Blake die Stelle gerade angenommen hatte, war ich einmal bei einem Teamtreffen dabei. Da war ich natürlich auch ihr begegnet und hatte gleich so ein Gefühl. Das war alles – nur so ein Gefühl, wie man es als feste Freundin manchmal kriegt, wenn man andere Mädchen kennenlernt. Als Blake und ich uns dann trennten, wurde dieses Gefühl sehr stark und ballte sich zu etwas zusammen, das so übermächtig war, dass man es schon fast als Besessenheit bezeichnen konnte. Aber ich konnte es nicht abstellen. Sie hieß Jenna. Jenna war eine Schlampe. Und jedes Mal, wenn ich irgendwo den Namen Jenna hörte, dachte ich an sie und hasste die arme Person, obwohl sie doch nur den Namen mit Jenna gemeinsam hatte. Jenna war Australierin, und schon hasste ich sämtliche Australier. Ein höchst seltsamer Mechanismus, der mich da überfallen hatte – ich kannte Jenna ja nicht wirklich und hatte Australien vorher immer gemocht, aber ich hatte dieses Bild von Jenna, diese Abneigung gegen sie und ihre Heimat und überhaupt alles, was ich von ihr wusste, ganz gleich, wie bedeutungslos es sein mochte.
Nur um mich zu quälen, stellte ich mir vor, dass Blake und sie auf dem Berggipfel Sex hatten, sobald die Kamera nicht mehr lief, und ich überlegte ständig, mit wem er überhaupt all die Nächte in seinem winzig kleinen Zelt oder in den überfüllten primitiven Unterkünften verbrachte. Die Orte, an denen er sich aufhielt, waren doch viel zu eng, um sie mit einer anderen Frau zu teilen, schon gar nicht mit Jenna und vor allem nicht mit der Schlampe, zu der sie in meiner Phantasie geworden war. Bestimmt schlich sie sich mitten in der Nacht zu ihm in sein Zelt, um ihm ihr nacktes Selbst zu offenbaren. Zwar würde er versuchen, seine Triebe zu beherrschen, aber er würde es nicht schaffen, weil er ja ein Mann war und total ausgepumpt vom Bergsteigen. Außerdem hatte dieser enge Kontakt mit der Natur immer eine zusätzlich erotisierende Wirkung auf
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