Ein Moment fürs Leben. Roman
längste Unterhaltung, die wir je gehabt hatten. Sonst hatte sie mich bisher nie angesprochen. Wahrscheinlich fiel ihr allmählich die Decke auf den Kopf, und sie war so verzweifelt, dass sie mit jedem zu reden versuchte, selbst mit mir.
»Danke. Äh … ebenfalls.« Dann fiel mir nichts mehr zu sagen ein, und ich schloss meine Tür.
In Wahrheit wollte ich überhaupt nicht, dass sie mich zum Kaffee besuchte, und ich wollte auch nicht, dass Riley zu mir in die Wohnung kam. Er war noch nie da gewesen, weder er noch sonst jemand aus meiner Familie. Meine Wohnung gehörte mir, mir allein. Aber jetzt störte es mich auf einmal, wie es hier drin aussah. Der Teppich musste dringend gereinigt werden. Ich nahm mir vor, mich darum zu kümmern, ohne meinen Vermieter zu informieren, denn ich wollte nicht, dass er vorbeikam, die Brandflecken sah und mich womöglich für den Schaden zur Rechenschaft zog. Also suchte ich den Zettel heraus, auf dem ich den Namen der Teppichreinigung aufgeschrieben hatte, und wählte schnell die Nummer der Auskunft, ehe ich es mir anders überlegen konnte. Ich wusste, dass etwas Gigantisches geschah, denn ich tat genau das, was notwendig war, und spürte die Anstrengung schwer auf meinen Schultern lasten. Als man mich verbunden hatte und das Telefon am anderen Ende der Leitung klingelte, spielte ich mit dem Gedanken aufzulegen. Was mir so zusetzte, war ja nicht der Anruf allein, nein, wenn ich mein Vorhaben zu Ende führen wollte, musste ich einen Tag von der Arbeit zu Hause bleiben und auf einen wildfremden Menschen warten, der garantiert erst Stunden nach dem vereinbarten Termin eintrudeln würde, und dann musste ich ihm auch noch all die persönlichen, ganz und gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Flecken zeigen, die entfernt werden sollten. Wie demütigend. Es klingelte und klingelte, dann klang es, als würde jemand drangehen oder der Anrufbeantworter anspringen, aber nach einer kurzen Unterbrechung klingelte es einfach weiter. Gerade wollte ich auflegen, da hörte ich eine Männerstimme.
»Hallo?«
Es war laut. Ein Lärm wie in einem gutbesuchten Pub. Ich musste das Telefon ein Stück vom Ohr weghalten.
»Moment mal bitte«, rief die Stimme, und ich wollte antworten, schon gut, ich hab mich verwählt – teils, weil ich es mir anders überlegt hatte und auf gar keinen Fall den Stress mit einem fremden Menschen in der Wohnung wollte, teils, weil ich den Verdacht hatte, dass ich tatsächlich falsch verbunden worden war. Ich suchte die Visitenkarte, die die American-Pie-Frau mir gegeben hatte, um nachzuschauen, ob die dort angegebene Nummer mit der auf meinem Display übereinstimmte. Aber mein Gesprächspartner hätte meine Erklärung nicht hören können, da er das Telefon nicht ans Ohr hielt, sondern irgendwo an seinen Körper drückte, während er sich zwischen Dutzenden anderer Körper hindurch einen Weg in eine ruhigere Ecke bahnte.
»Moment mal bitte«, rief er noch einmal.
»Hat sich erledigt«, brüllte ich, obwohl es bei mir ja ganz ruhig war. Aber der Mann hörte mich sowieso nicht.
Dann wurde es am anderen Ende auf einmal ganz still, ich hörte Schritte, fernes Lachen und schließlich: »Hallo? Sind Sie noch dran?«
Ich ließ mich auf die Couch fallen. »Ja. Hi.«
»Tut mir echt leid. Wer ist denn dran?«
»Äh, ich fürchte, das ist jetzt ein bisschen ärgerlich für Sie, nachdem Sie extra nach draußen gegangen sind. Ich habe mich nämlich verwählt.«
»Nach all den Strapazen!«, lachte der Mann.
»Ja, sorry.« Ich kletterte über die Rückenlehne der Couch, landete in der Küche und schaute in den Kühlschrank. Wie üblich war nichts zu essen da.
Der Mann schwieg einen Moment, ich hörte, wie ein Streichholz angerissen wurde und wie er inhalierte. »Sorry, schlechte Angewohnheit. Meine Schwester hat behauptet, wenn man raucht, lernt man leichter Frauen kennen.«
»Ich tu bei der Arbeit immer so, als würde ich rauchen, damit ich öfter Pause machen kann«, gestand ich zu meiner eigenen Überraschung.
»Und wenn die rausfinden, dass Sie in Wirklichkeit gar nicht rauchen?«
»Wenn jemand dabei ist, dann rauche ich immer.«
Er lachte. »Ganz schön viel Mühe für ein Päuschen.«
»Für ein Päuschen tu ich alles.«
»Beispielsweise mit falschen Verbindungen plaudern?«
»Käme durchaus in Frage«, antwortete ich.
»Wollen Sie mir Ihren Namen sagen oder ist das gegen die Verwähl-Etikette?«
»Aber nein, ich teile wildfremden Menschen sehr gern meinen
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