Ein Moment fürs Leben. Roman
Kreuzfahrt auf dem Nil. Doch Quetschi fragte bekanntlich aus rein egoistischen Gründen und nicht, um mit mir in schönen Erinnerungen zu schwelgen. »Nein, leider nicht«, antwortete ich deshalb, und eine gewisse Enttäuschung breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ich ging zu meinem Schreibtisch, warf den Cappuccino-Becher in den Mülleimer, hängte meine Jacke auf und machte mich auf den Weg, um eine frische Kanne Kaffee zu kochen. Der Rest des Teams drängelte sich bereits in der winzigen Küche.
»Was ist denn hier los? Gibt es ein Geheimtreffen?«
»Guten Morgen, Prinzessin«, begrüßte mich Checker-Graham. »Kaffee?«
»Schon okay, ich mach welchen«, sagte ich und quetschte mich an ihm vorbei zum Wasserkocher. Sofort beugte er sich von der Anrichte ein bisschen nach vorn, so dass ich mit seinen Genitalien in Berührung kam. Einen Moment überlegte ich, ihm das Knie in die Eier zu rammen. Graham war der Checker vom Dienst, der zu viele Folgen von
Mad Men
gesehen hatte und ständig nach einer Büro-Affäre Ausschau hielt. Natürlich hatte er Frau und Kinder. In dem Bemühen, seinen Vorbildern von der Madison Avenue nachzueifern, trug er die Haare in einer pomadigen Tolle nach hinten gekämmt und legte so viel Aftershave auf, dass man dank des süßen Gestanks, der dann in der Luft hing, immer wusste, wenn er sich in der Nähe aufhielt. Von seinen schmierigen Avancen fühlte ich mich nicht im mindesten geschmeichelt – vielleicht hätte es mir gefallen, wenn ich scharf darauf gewesen wäre, eine Nacht mit Pepé dem Stinktier zu verbringen, und wenn er seine Schmeicheleien nicht völlig wahllos jeder Frau hätte angedeihen lassen, die sich im Umkreis von einer Meile seiner Duftwolke befand. Doch eins musste man ihm zugutehalten: Vielleicht war er früher einmal attraktiv gewesen, in einer Zeit, bevor sein innerer Funke erloschen war, weil er sich fürs Leben an einen Menschen gebunden hatte, der alles mit ihm teilen wollte, inklusive seiner Seele.
Ich füllte Wasser in den Kocher.
»Hast du schon gehört?«, sagte Mary-Maus mit ihrem Stimmchen, das sich immer ein Dezibel unter normaler Sprechlautstärke zu befinden schien. Marys Augen waren fast doppelt so groß wie ihr Kopf, ein erstaunliches Wunder der Natur. Ihre Nase und ihr Mund waren wie zwei Pünktchen auf ihrem Gesicht, daher der Spitzname Maus.
»Was gehört?«
»Na, na, wir wollen Lucy doch nicht erschrecken, sie ist gerade erst zur Tür reingekommen.« Das war Zwinker-Quentin, so genannt wegen seiner Angewohnheit, mit beiden Augen im Zwanzigsekundenintervall zweimal heftig zu zwinkern, wobei sich das Intervall bei Meetings oder wenn er vor vielen Menschen sprechen musste, deutlich verkürzte. Er war ein netter Mann, vielleicht ein bisschen langweilig, und ich hatte kein Problem mit ihm. Er war zuständig für die Schaubilder in den Bedienungsanleitungen, deshalb arbeiteten wir eng zusammen.
»Wir haben heute Vormittag ein Meeting in Ednas Büro«, sagte Mary-Maus, und ihr kleines Gesicht war ganz starr, nur die großen Augen wanderten angstvoll hin und her.
»Wer sagt das?«
»Louise hat es von Brian im Marketing gehört. Alle Abteilungen haben so ein Meeting.«
»Brian Murphy oder Bryan Kelly?«, wollte Steve die Wurst wissen.
Die Erklärung für Steves Spitznamen war einfach. Der Gute sah nämlich aus wie eine Wurst.
»Wo ist der Unterschied?«, fragte Mary-Maus, und ihre Augen wurden noch größer.
»Brian Murphy schreibt seinen Vornamen mit einem
i
und Bryan Kelly mit
y
«, antwortete ich, obwohl ich genau wusste, dass sie das nicht meinte. Ich spürte Checkers Atem im Nacken – er lachte, was mich freute. Ich war eine Lach-Nutte, jeder Lacher war mir recht.
»Nein, ich meine, warum spielt es eine Rolle, wer es uns gesagt hat?«, erläuterte Mary-Maus ihre Frage.
»Weil Brian Murphy gern Scheiß erzählt, Bryan Kelly aber nicht«, erklärte Checker.
»Ich fand beide Brians eigentlich immer ziemlich seriös«, warf Zwinker-Quentin respektvoll ein.
Mary-Maus zog die Tür auf. »Louise?«
Quetschi drängelte sich zu uns in die bereits enge Küche. »Was ist los?«
»War es Brian Murphy oder Bryan Kelly, der dir von dem Meeting erzählt hat?«
»Was spielt das denn für eine Rolle?«
»Bryan Kelly erzählt gern Scheiß«, verkündete ich und verwechselte die beiden Namen absichtlich.
Wieder grinste Checker, wieder war er der Einzige, der merkte, dass ich einen Witz gemacht hatte.
»Und Brian Murphy anscheinend nicht«,
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