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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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daß ihm, während er hier auf der Ottomane ruhte, wieder das sich neigende Licht jenes Nachmittages ins Gefühl trat, als er ganz plötzlich aufgefahren und dann durch das benachbarte Speisezimmer und über das hallende und krachende Parkett des weiten Salons geschritten war und dort das Fenster geöffnet hatte.
    Er wartete nachgerade schon auf das Eintreten dieser Verfassung, sobald er sich allein befand. Und, genau genommen, machte er vom »ohnehin vernünftigsten Getränk« nur Gebrauch, wenn sie ausblieb. Was selten geschah. So hatte unser Castiletz zum Trinken ein recht eigentümliches Verhältnis gewonnen, das, um diese Zeit wenigstens, wesentlich darin bestand, ein flaches, bläuliches, vollgeschenktes Glas neben sich stehen zu haben; dieses wurde dann ebenso vom Mädchen hinausgetragen: und sie hätte sich ihrerseits leicht das Trinken angewöhnen können, wenn nur das Zeug nicht so entsetzlich in Mund und Schlund gebrannt hätte. Ja, es waren solche von Hohenlochersche Behelfe im Grunde für Castiletz nichts weiter als Sinnbilder, Symbole einer neu angebrochenen Zeit, die selten zu einem eigentlichen Gebrauche erniedrigt wurden.
    Trat dieser Fall indessen ein – so, wenn er wieder einmal nach der Zeitung gegriffen hatte (die er ansonsten jetzt häufig ungelesen liegen ließ), vom Lesen aufsah, in das Zimmer hinausblickte, welches plötzlich in undurchsichtiger und lebloser Weise ihn anödete, nicht Raum gab, nicht ein leichtes, beiläufiges Gefäß seiner Gedanken wurde – trat dieser Fall also ein, dann hob er das flache Glas vom Tablett, trank und legte sich zurück. Seine »Gedanken« und Vorstellungen aber, welche nunmehr das erwärmende und belebende Getränk vergrößerte und quellen ließ, trieben dann wie Wolkenzüge unterm Windstrich zu fast immer der gleichen Gegend in seiner Seele (zumindest während der jüngsten Zeit): auch hier wieder war der »Weg« sichtbar; die Fortsetzung der Brücke jedoch hatte ihm ein Unbekannter abgebrochen, ein Unbekannter, der sich jetzt irgendwo da draußen befand, in jenem äußersten und nicht mehr im einzelnen benennbaren Ring des Lebens, welcher wie ein Hof noch um den näheren und deutlich mit eigenen Dingen erfüllten Raum liegt. Jener Unbekannte aber hatte es vor acht Jahren fertiggebracht, Conrad Castiletz gleichsam die Tür des Lebens vor der Nase zuzuschlagen und den Ausgang zu vermauern. Im tiefsten Herzen hielt er das Schicksal des unglücklichen Malers Derainaux noch für das leichtere; bei ihm jedoch, so schien es, starrte die abgebrochene Brücke hinaus in eine ebenso rätselhafte wie hoffnungslose Leere.
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    Unausweichlich mußten mit der Zeit solche Vorstellungen zu Gefühlen der Rache führen; und wenn diesen sich im Leeren irgend etwas darbot, woran sie sich heften konnten, so mußte das wohl jenes Bild des Henry Peitz sein, wie es nach Inkrats Erzählung in Castiletz zustande gekommen war.
    Hiermit wahrscheinlich hing es zusammen, daß Castiletz an einem sehr warmen Tage im April dem Doktor Inkrat einen vorher angekündigten Besuch in seiner Privatwohnung machte. Diese lag hinter einer großen, nicht eben schönen Kirche, und vielleicht stellte das romanische Portal mit Säulen und Kapitellen – in solcher Gestalt bot sich das Tor dieses Mietshauses dem Blick – eine Art Ausstrahlung der Nachbarschaft dar. Castiletz verließ den dunstenden Asphalt und den blauen Himmel und schraubte sich durch ein weißgekalktes Treppenhaus empor. Inkrat öffnete selbst. Sie traten in ein übermäßig großes Zimmer, ähnlich dem des Herrn von Hohenlocher, was die Ausmaße betraf, jedoch ohne dessen persönliche Note: hier sah es mehr nach einer übernommenen Einrichtung aus (Inkrat wohnte bei seiner Mutter), und vielleicht hingen damit einige unvermittelte und prunkvolle Schlachtenbilder zusammen, welche da in breiten Goldrahmen die Wände zierten und französische Dragoner mit wehenden Büschen bei der Attacke zeigten. Auch das Klavier wollte nicht recht zum Bewohner dieses Raumes passen und machte den Eindruck, als stünde es undenklich lange Zeit schon mit geschlossenen Kinnladen zwecklos herum.
    Auch hier gab es ein Glas vom »ohnehin vernünftigsten Getränk«; und von den angebotenen Zigaretten machte Conrad nun bereits Gebrauch (nebenbei bemerkt: der alte Eisenmann pflegte ihm noch immer dann und wann eine Zigarre zu offerieren, aber diese verfiel bereits einem Gewohnheitsrechte des Werkmeisters).
    »Ich nehme an, daß Sie irgendeine bestimmte

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