Ein Mord den jeder begeht
aber erscheine bald auf der Bildfläche.«
»Ich will noch baden.«
»Gut. Ersaufe nicht dabei. Saufen kannst du dann bei mir. Also rasch, rasch, Kokosch, auf baldiges Wiedersehen!«
Er hörte noch beim Absetzen einen seltsamen Ton, als riefe Günther jemandem, etwa wie: »Quiiiiiiii...«
Conrad plätscherte. Ihm war wohler zumut. Die Karte hatte sich wieder gefunden, irgendein Deckel war da sozusagen gehoben worden.
Ein halbe Stunde später bog der Wagen um die Ecken, glitschte durch weite Straßen, in welchen sich die wenigen sonntäglichen Fußgänger verloren; die Stadt schien viel zu groß, wie eine leere, abgeräumte Bühne, die aber für tumultuöse Vorgänge geräumig erbaut ist. Weite Parkflächen standen in sich verschlossen durch Kälte und Feuchtigkeit. Straßen fielen aus, heran, zusammenlaufend, jetzt schwenkte der Wagen nach links, nochmals um die Ecke, und verpustete, langsamer rollend, am Gittertor eines Vorgartens.
Ein Mädchen stand oben mit weißer Schürze bei der geöffneten Tür, aber schon kam Günther hervor. Unverändert, nur anders angezogen als früher. Die beiden waren sozusagen parallel gewachsen seit damals. Jeder Abstand fehlte. Günther nahm Conrad am Handgelenk und schleppte ihn hinter sich her, in einen kleinen sehr warmen und bunten Raum, durch dessen eines Fenster man zwischen die Äste von Bäumen hinaussah. Die Wände bestanden aus Büchern auf schwarzen Brettern. In der Ecke gab’s eine breite Liegestätte, fleischrot, sowie einige tiefe Sessel um einen weißgedeckten, blanken, niederen Tisch, der wie eine frische Schwinge seine Unberührtheit in den Raum schlug.
Sie wechselten die ersten Worte, die freilich verwirrt aneinander vorbeisprangen, über Conrads Aufenthalt hier und dessen Anlaß, und wo er sonst lebte. »Bin auch verheiratet«, sagte Günther, und nun kam wieder dieser seltsame Ton:
»Quiiiiie . . . k . . .«
»Quiiiiie ... k« antwortete es in hoher Tonlage von irgendwo draußen, und dann die Stimme einer Dame:
»Gleich, Günther . ..!«
Ein blaues Buch lag auf dem fleischroten Überwurf des Diwans. Castiletz nahm es auf, in einer augenblicklich eingetretenen Pause des Gesprächs, die aber als ein Quellgebiet vieler noch zu wechselnder Worte gefüllt stand bis an den Rand mit Lebenswasser.
»Du liest lateinisch?« sagte er erstaunt.
»Ja, den Valerius Catullus«, erwiderte Günther. »Er ist elegant und reizend. Sieh mal. Gleich der Anfang hier:
Cui dono lepidum novum libellum
arida modo pumice expolitum?
Corneli, tibi; namque tu solebas
meas esse aliquid putare nugas . . .«
Nun improvisierte er eine Übersetzung:
»Wem widme ich das niedlich-neue Büchlein,
mit Bimsstein balde, dem trockenen, geglättet?
Dir, Cornelius; denn du glaubtest immer
es sei was um meine leichten kleinen Dinger ...«
Die Türe wurde geöffnet. In ihr stand ein Ausrufezeichen, auf welches jetzt, vom Garten her, seltsamerweise ein blasser Sonnenbalken sich stützte. Günther eilte ihr entgegen und küßte ihre Hand. »Das ist Conrad Castiletz, genannt Kokosch; und das ist meine Frau, genannt Quiek. Ihr müßt euch selbstverständlich ›du‹ sagen.«
»Ich habe viel von dir gehört«, sagte sie, ihre Hand noch in der seinen. Er sah in das Gesicht vor ihm, welches reizend war, überaus hübsch, objektiv als hübsch auszunehmen, mit anliegendem dickem braunem Haar und etwas allzu großen Augen, so daß der Kopf fast dem eines Insektes verwandt erschien. Jetzt, hier in diesen Sekunden, in diesem kleinen warmen, bunten Zimmer, dessen Fenster auf den Garten hinaussah – wo die jungen, glasgrün en Blätter nicht in die kalte, regenfeuchte Luft passen wollten – höhlte sich ein Raum in Conrad, ein aufnehmender Raum: der doch zugleich besetzt war. Und somit blieb er von diesen Glücklichen getrennt. Einen Augenblick wischte die Gestalt des Herrn von Hohenlocher flüchtig durch seine Vorstellung. Auch dieser war glücklich. Und da erschien dessen Glück Castiletz nunmehr in bemerkenswerter Weise als das nähere.
43
Er blieb auch zu Tische bei Ligharts, und nach dem Essen mit ihm allein, da Quiek um diese Zeit zu schlafen pflegte. Übrigens verharrte seltsam ihr Bild in Conrad noch eine ganze Weile, nachdem sie sich zurückgezogen hatte, ja, wie ein in seinem Inneren entstandener Vorsprung, den er nicht auszuglätten vermochte und als eigentlich lästig empfand. Man konnte diese Frau nirgends hintun, sie war ein Einzelfall von beinahe unangenehmer, ja unheimlicher
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