Ein Mord den jeder begeht
Originalität. Wo der Zauber des Geschlechts zwischen Menschen schweigt, wo diese bunten Schleier von vornherein gefallen sind und diese Nebel nie steigen werden, dort gibt es eine unnatürliche und abstrakte, eine billige Nähe zwischen Mann und Weib, einen Kurzschluß über leeren Raum hinweg: und es war vermöge eines solchen, daß Conrad jetzt an die Vorstellung herantasten konnte, wie es wohl sein mochte, aus derartigen Augen zu schauen, aus Insektenaugen, während man durch den Tiergarten ritt (davon hatte sie beim Frühstück gesprochen), oder überhaupt aus solcher Selbstsicherheit und Eigentümlichkeit – in des Wortes genauester Bedeutung! – zu leben, zu reden, sich Rechte zu nehmen, Bedürfnisse zu haben. Dabei dachte Castiletz jetzt flüchtig an Maria Rosanka und wußte zugleich mit Sicherheit, daß beide Frauen, beide Welten, unvergleichbar waren. Ihn reizte der Versuch, sich einen Mann vorzustellen von der Art Quieks: und schon erkannte er, daß dies eine vollkommene Mißgeburt sein müßte, ein Ekel von grenzenloser Manieriertheit, fast monströs. Dabei – sie selbst war durchaus natürlich; unbegreiflich gewachsen saß ihre Form, wie eines merkwürdigen Käfers Panzer. Jeder Gegenstand wurde leicht im Gespräch, wenn sie ihn berührte, sie schien – geschickt wie ein Taschenspieler, der Karten vertauscht – die Dinge blitzschnell heimlich zu entleeren und dann in überraschender Gewichtslosigkeit als ein rechter Zauberkünstler darzubieten.
Im Grunde hatte Castiletz noch niemals jemand so fassungslos beneidet wie Quiek Ligharts. Auch den Herrn von Hohenlocher nicht.
»Sie ist merkwürdig, unsere Quiek, wie?« sagte Günther, als erriete er Conrads Gedanken.
»Ja. Ich glaube, sie muß dich – in Atem halten«, erwiderte Castiletz, erstaunt über seine eigene Ausdrucksweise, die, mit ihren wenigen Worten, ihm doch selbst wie ein Produkt neu zugewachsener Fähigkeiten erschien.
»Das soll sie!« sagte Günther lachend. »Es ist sozusagen ihre Aufgabe. Wenn Quiek übrigens sagte, sie habe schon viel von dir gehört, so war das keineswegs eine Redensart. Ich sprach tatsächlich oft von dir, Kokosch, auch wenn dich das verwundern mag.«
»Besonders angesichts der Tatsache, daß ich meinerseits von mir nie etwas hören ließ, verwundert es mich nicht wenig.«
Ja, es fanden sich verbrannte Karten gewissermaßen wieder, diese Post war somit geordnet und erledigt, dieser Punkt zählte nicht mehr zu den vermiedenen, diese Fehler – schliefen überhaupt ein! Für Augenblicke fühlte sich Conrad von einem frischen Mute gestreift wie von duftendem Wind; und während solchen Anhauchs zeigte die gehöhlte Schale seines Lebens ihren Inhalt ganz summarisch und in aller Ruhe so, wie er eben war: man konnte sich einfach damit abfinden. Schon war diese erstaunliche Helle wieder vorbei. Er glaubte plötzlich, einen Geruch von frischem Lack zu verspüren. Auch das verging. Es sah nur nach frischem Lack aus, hier in dieser kleinen, warmen, bunten Bibliothek, wo Günther seinen Valerius Catullus las.
»Diese Bücherbretter habe ich jüngst erst neu machen lassen«, sagte Günther, da er bemerkte, daß Conrad die Wände betrachtete. Castiletz antwortete nichts.
»Du sagst, in Atem halten« – (so nahm Ligharts den früheren Faden wieder auf) – »es ist jedoch mehr. Eine Frau muß uns die Welt immer wieder durchsichtig und rätselhaft zugleich machen, sie muß den ansonst tot hängenden bebilderten Vorhang des Lebens an irgendeiner Stelle raffen, in Falten bringen, geradezu verzerren – so, möchte ich sagen, daß man durch solche Verzerrung ahnt, wo er oben aufgehängt ist, daß man es gerne ahnt, ebenso wie dieser Vorhang sich ja sehr gerne verzerren läßt. Vielleicht, weil ihm sonst die Gefahr der unausgesetzten eigenen Lehrhaftigkeit drohen würde, einer unwidersprechlichen Lehrhaftigkeit, einer musealen, also schon fast etwas wie der Tod. Der Tod kann in Wohnungen schleichen und in Wandteppichen und Bildern sitzen und am Ende sogar knöchern in unseren Einsichten. Man muß sich in Atem halten, im Atem des Lebens. Damit meine ich nicht Sensationen. Jedoch es gibt kleine bescheidene Hilfen, die gewiß nicht mehr bedeuten, als wenn der Turnlehrer bei der Welle am festen Reck einmal leicht mit dem waagrechten Arm unter die Beine des Turners kommt – oder aber diesen Arm überhaupt nur bereit hält. In bezug auf dich nun, Kokosch, habe ich mich auch immer in Atem gehalten. Und damit hängt es zusammen,
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