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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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daß ich von dir sprach.«
    »Obwohl ich dir nie antwortete auf deine liebe Karte damals, mit dem weißen Pierrot.« Daß er dies sagte, erschien Conrad beinahe als eine Ungeheuerlichkeit, ja, als enthüllte er hier ohne weiteres eines der gehütetsten Geheimnisse seines Lebens. »Denke dir«, so fuhr er etwas lauter fort, diese bloßgelegte Empfindung mit lebhaften Worten übertäubend, »es ist gar nicht lange her, ein paar Jahre nur, daß diese Karte durch einen unglücklichen Zufall verbrannte. Deine Anschrift stand darauf. Irgendeine Straße, ich weiß es im Augenblicke nicht. Ich habe von dieser Anschrift nie Gebrauch gemacht. Ich bin froh, daß wir wieder beisammen sind, Günther. Ein entlaufenes Stück meines Lebens ist damit eingeholt.«
    Aber nun, am Ende, erschrak er fast ernstlich über seine eigene Ausdrucksweise.
    »Du hättest von dieser Anschrift gar keinen Gebrauch machen können«, sagte Ligharts. »Es stand dort: Uchatiusstraße. Eine solche Straße gibt es nicht in Berlin und hat es, soviel ich weiß, auch nie gegeben. Eine Nachricht unter dieser Anschrift hätte mich also nicht erreichen können. Ich habe den Namen dieser Straße einfach erfunden. In Wirklichkeit wohnte ich zuerst bei meiner Tante in Charlottenburg in der Grolmanstraße, beim Knie, und später, als meine Eltern ihre Übersiedlung glücklich bewerkstelligt hatten, in deren Villa, unweit von hier.«
    Castiletz versank tiefer und weicher in seinen Sessel.
    »Und warum . . .?« sagte er.
    »Wenn du willst – um mich ›in Atem zu halten‹, wie du früher sagtest. Um da eine Unordnung zu stiften, aus der noch irgendwas werden kann, durch die etwas auf die Probe gestellt werden kann – statt eines geregelten Brief – oder Kartenwechsels zwischen zwei Mittelschülern, Schulfreunden, alle Vierteljahr ein Brief oder eine Karte: ›Es geht mir gut, ich lerne nicht viel, weil ich leidlich in den verschiedenen Gegenständen stehe, meine Eltern sind gesund, im Fechten habe ich für meine Anstalt einen Preis erkämpft, eine silberne Medaille, bei den Mittelschülerkonkurrenzen.‹ Dies ödete mich apriorisch an. Ich wollte sehen, ob wir ohne alledem wieder irgendwo und irgendwie zusammengeraten würden. Das meinte ich mit: auf die Probe stellen. Nun, da sitzen wir. So hab ich in der Zwischenzeit oft an dich gedacht, du bist mir gewissermaßen frisch erhalten geblieben. Anders hätten wir uns durch einige Zeit mit mehr oder weniger tintenfleckigen Fingern geschrieben, gewiß; dann hätten wir einmal damit aufgehört, und uns nie mehr wieder im Leben gesehen. Geheimnis muß Geheimnis bleiben.«
    Die letzten Worte verstand Castiletz nicht ganz, und doch berührten sie ihn mehr noch als alles Vorhergehende.
    »Leben deine Eltern noch?« fragte Günther dazwischen.
    »Nein«, sagte Conrad. »Meine Eltern sind beide gestorben.«
    »Das ist sehr traurig«, erwiderte Ligharts ernsthaft, im Tone einer Feststellung, nicht eigentlich wie eine Bezeugung des Beileids. »Ich habe die meinen noch, gottlob. Dein Vater allerdings war, soviel ich mich erinnern kann, herzkrank. Ist es das gewesen?«
    »Ja«, sagte Castiletz.
    »Er war viel älter als deine Mutter?«
    »Ja.«
    »Und die Mutter? Sie war wunderbar und lieb, deine Mutter.«
    Conrad schwieg. Eine in ihm ausbrechende Verwirrung hinderte ihn, sogleich zu antworten.
    »Die Mutter starb an einer plötzlichen, katastrophalen Sache im Blutkreislauf. Ich verstehe es bis heute nicht.« Er zögerte nun ein wenig. Dann sagte er:
    »Höre mal, Günther: du sagtest vorhin – es hätte dich ›apriorisch angeödet‹, das mit dem Briefwechsel und so. Erinnerst du dich denn so deutlich? Hast du damals auch so gedacht? Mit diesen Worten? Warst du – so ... frei, möchte ich sagen, daß du so was in dieser Weise denken konntest, daß du die Anödung wirklich einfach ablehntest? Hat dich das nie als eine – unerledigte Sache, als irgendwo herrschende Unordnung gepeinigt?«
    »Nein. Diese Unordnung wollte ich ja.«
    »Du wolltest sie. Ja. Du sagst ›ich wollte‹. Hast du denn das Gefühl so sicher, eigentlich derselbe Mensch zu sein . . . dann warst du ja damals, genau genommen, schon . . . erwachsen?«
    »Ja, das war ich«, sagte Ligharts leichthin.
    »Ich kann mich eigentlich, wenn ich’s gerade will, an vieles nicht erinnern ... an sehr vieles nicht. Du, ich könnte nicht sagen: damals habe ich ... nach Molchen gefischt, zum Beispiel.«
    »Wobei am Schlusse beinah eine Keilerei entstand«, sagte Ligharts

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