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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Kremmenerstraße, mindestens einmal, meistens zweimal in der Woche, bei seinem Mädel zu Besuch, man bringt ein Paket mit Kaffee und Zucker, oder was sonst nötig ist. Die Wände dieser kleinen Wohnung mit Zimmer und Küche sprechen auch stumm von allerhand Gemeinsamem, von Verpflichtungen, wie die Runzeln einer Stirn runenhaft vom vergangenen Leben erzählen.
    Was eben jeder hat; auch ein Zugfahrer ist ein Mensch wie alle anderen, und man muß es, angesichts dieser unleugbaren Tatsache, zu werten wissen, daß er sich stundenweise nur auf eine Hand, ein Auge, ein Ohr reduziert, auf einen reinen Apparat, auf ein geometrisches Schema oder Modell des Sinnenlebens.
    Es grollt im Gedärm der Stadt. Stürme ziehn vorüber, hallend aus dem Schlauch, dröhnend auf die Brücke, deren Erz klagt wie die Memnonssäule bei aufgehender Sonne. Gleisdreieck. Bülowstraße. Lichter rot und blau, links und rechts, bekannte, weit und scharf strahlend. Das Signal grün rechts voraus. Nollendorfplatz. Dröhnend in den Schlauch. Wittenbergplatz. Zoologischer Garten. Knie. Das ist Berlin: vom Dache und aus dem Keller.
    42
    Castiletz langte dort an einem Sonntage ein, morgens, und entstieg dem Schlafwagen. Die Nacht war im ersten Teile schlecht gewesen – ein Dämmern im Summen und Ziehen des Zuges, wobei man nie wußte, ob einem nun zu kalt oder zu heiß sei – im zweiten jedoch besser, als die halbe Schlaflosigkeit, in sich selbst erschöpft, beim Herumwälzen auf die rechte Seite einer endlich hervorbrechenden Lösung der Glieder Platz gemacht hatte. Nun ging Conrad mit vielen dem Ausgange zu. Die Stadt schien ihm hellgrau, taubengrau etwa, im Licht eines kalten und verhangenen Frühjahrsmorgens, von dessen zeitweisen Regenschauern einer noch als Nässe auf dem Pflaster lag. Während er den Träger entlohnte und dann in die Autodroschke stieg, stellte er obenhin fest, daß natürlich die Dinge in Ordnung sich befinden mußten. Eisenmann hatte alles im voraus bestimmt, selbstverständlich auch das Hotel, wo abzusteigen war, und die Kategorie des Zimmers (bestens, Bad und Telephon). »Herr Castiletz –?« So kam ihm der Empfangschef entgegen, ein Sanfter, Blasser, mit dunklem Haar, der merkwürdigerweise genau so aussah wie ein gewisser ›Monsieur Jules‹, eine Gestalt aus einem französischen Kinderbuch mit Illustrationen. Hier in dieses belebte Riesenhotel versank man gleichwohl als in eine Burg der Stille, umschlossen von Teppichen und allzuviel Gold, an den Geländern der Treppe, überall. Das Zimmer – 317 – war blau, das Bett stand rückwärts, in einem durch Vorhang mit Zugquaste abgetrennten Raum.
    Conrad öffnete sein Gepäck. Er wollte baden. Am Schreibtisch befand sich das Telephon, daneben lag das Buch. Er blieb davor stehen. Von den Herren, an deren Besprechungen er teilzunehmen hatte, wohnten fünf hier im Hotel (Eisenmann hatte ihm genau aufgeschrieben, welche – überhaupt, was war von Eisenmann nicht alles aufgeschrieben worden, die merkwürdigsten Sachen!). Gut, morgen würde er durch einen Pagen seine Karten abgeben lassen. Heute war es dazu noch zu früh am Tage, außerdem Sonntag. (Nun, er war absichtlich Samstag abends gereist.) Buchstabe L. Lehnder? Nein. Die vielen Fragen! »Du siehst gut aus. Du hast früher besser ausgesehen.« Da stand – »Ligharts, Günther«.
    Damit war gewissermaßen die verbrannte Karte wiedergefunden, wieder ersetzt. Er mußte es sein, der Name war nicht eben häufig, noch dazu »Günther«. Also im Auswärtigen Amt war Günther! Castiletz setzte den Apparat in Bewegung, sprach hinein: »Tiergarten . . .« und die Nummer.
    »Hallo, hier Günther Ligharts«, tönte es gemütlich, ja etwas faul.
    »Hier Conrad Castiletz.«
    Eine winzige Pause entstand. Sodann, frisch und laut:
    »Kokosch?«
    »Ja, Kokosch!«
    »Mensch, von wo aus sprichst du denn?!«
    Castiletz nannte das Hotel. »Dann mach dich also verdammt rasch auf die Strümpfe und komme hierher zum Frühstück. Merke mal auf: die Keithstraße liegt am Zoo. Du hast gerade vor dem Hotel den Bahnhof Friedrichstraße. Du steigst in die S-Bahn, die Stadtbahn, und bei der vierten Haltestelle ›Zoologischer Garten‹ wieder aus .. .«
    »Ich werde mir eine Autodroschke nehmen«, sagte Castiletz. »Ich kenne mich ja gar nicht aus, bin zum ersten Male in Berlin.«
    »Gut denn – obwohl‘s als Verschwendung zu werten ist. Könntest auch mit der Untergrund fahren, sehr bequem, nur müßtest du umsteigen. Also mach’s, wie du willst,

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