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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Vorgänge, die geeignet waren, Castiletz neuerlich aus der Fassung zu bringen. Der erste bestand einfach in einer Lausbüberei Günthers. Denn während Peitz in die Weinkarte sah und mit der Kellnerin sprach, warf jener einen Blick zu Conrad herüber und spielte seinerseits durch einige Sekunden den Peitz, sein Urbild beleidigt ansehend, mit zurückgelegtem Oberkörper, ja, er ging so weit, mit den Spitzen der Zeigefinger die äußeren Augenwinkel ein wenig herabzuziehen. Diese Frechheiten blieben wohl von seinem Tischgenossen unbemerkt, indes Castiletz beinahe die Suppe durch die Nase hervorzuschießen drohte. Er faßte sich mit äußerster Anstrengung, den Blick starr auf das blaugewürfelte Tischtuch geheftet, dachte an alles mögliche (Molche, Tunnel zu Lauffen) und gelangte sozusagen um Linienbreite über diese Klippe. Eine Weile sah er nicht mehr hinüber.
    Jedoch, als er’s nun wieder tat, bot sich ein ganz anderes Bild, welches ihn augenblicklich bis ins Innerste traf und von ihm sofort aufgefaßt wurde als der Einschlag einer Kette, als der Beginn eines Geleises, in welches man jetzt mit dieser ganzen Sache neuerlich fiel, wahrhaft nicht zum ersten Male! Günthers Gesichtsausdruck schien völlig geändert, gewandelt: er war sehr ernst geworden, gespannt, ja erregt. Peitz sprach. Dann schüttelte Günther den Kopf und sagte augenscheinlich etwas Verneinendes, Ablehnendes . . . jedoch bald danach schien er zusammenzufahren, als habe er Wichtiges vergessen, oder sonst einen Fehler gemacht. Castiletz wandte den Blick ab, da er fühlte, wie dieser starr zu werden begann. Als er flüchtig wieder hinsah, blickte Günther ihn geradewegs an und zog die Augenbrauen durch eine Sekunde in die Höhe; diese Miene war ohne weiteres verständlich; sie bedeutete offensichtlich nichts anderes als: aufgepaßt, nun wird’s ernst!
    Castiletz rief die Kellnerin und bezahlte. Bald danach tat Peitz das gleiche; Günther blieb sitzen; zwei Minuten später folgte Conrad seinem Manne unauffällig in einigem Abstand am Gehsteige, in der Richtung auf die Friedrich Straße zu.
    Was dies zuletzt nun bedeutet haben mochte, blieb freilich für Castiletz undurchsichtig; daß es jedoch mit seiner Sache im Zusammenhange stand, war außer jeden Zweifel gerückt durch das von Günther mit den Augenbrauen erteilte Zeichen. Eine starke Hoffnung belebte Conrad. Er fühlte sich plötzlich so frei wie kaum jemals in der letzten Zeit. Da kreuzte Peitz die hier ganz schmale Fahrbahn und schon verschwand er, die Treppen zur Untergrundbahn hinab. Castiletz folgte ihm dichter. Am Fahrkartenschalter tat er, wie Günther ihm geraten hatte. Der unterirdische Bahnsteig, den Conrad hier zum ersten Male sah, schien ihm mächtig weit und lang. Peitz stand links, am Beginn. Er stand ganz und gar so da, wie Ligharts ihn agiert hatte, aber der Humor dieser Sache verfing jetzt nicht bei Castiletz. Aus dem dunklen Mund am anderen Ende des langen Perrons erklang ein dumpfer Donner, wie Trommeln, dann flog der Zug hervor und heran, gelb, niedrig, breit, mit toten Lichtaugen. Peitz, der erst einen Schritt zurückgetreten war, bewegte sich nun dem ersten Wagen entgegen. Das schnelle Fahrzeug kam auf überraschend kurzer Bremsstrecke zum Stehen. Die Schiebetüren öffneten sich dem Aus – und Einströmen. Bei Castiletz passierte jetzt, in einer plötzlich aus ihm hervorbrechenden Aufregung, etwas Überraschendes, ein Fehler. Er lief um ein paar Schritte zu weit, geriet in einen Strudel von Menschen, dies war nun der zweite Wagen, er mußte einsteigen, konnte nicht mehr zurück. Die Schiebetüren schlossen sich, schon begann die Bewegung. Conrad erstaunte über sein Ungeschick und Mißgeschick. Dies war nicht leicht und ruhig, dies war sozusagen unsportlich gewesen. Alles schien verdorben. Er befand sich im vorderen Teil des Wagens und wandte sich nun (während das Herzklopfen noch immer nicht nachlassen wollte), zwischen den gepolsterten Bänken im Mittelgang stehend, der Fahrtrichtung zu: fast gleichzeitig erlöste ihn der Einfall, daß er ja ohne weiteres bei der nächsten Haltestelle in den ersten Wagen umsteigen konnte – ja, auch dies war gegenstandslos: man sah hindurch. An Stirn – und Rückwand jedes Waggons befand sich ein Fenster. Nun erblickte er Peitz. Castiletz wurde ruhig und überlegte. Nein, der Gedanke, auf der »Untergrund« immer den benachbarten Wagen bei solch einer »Verfolgung« zu benutzen, war falsch, war abzulehnen. Es brauchten sich dort

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