Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
ganze Frühstück hier, Muschelgerichte und Rheinwein. Wie Fliegen umschwärmten die Kellner den Tisch, dessen »private« Bedeutung der Leitung des Hotels längst bekannt war. Eine gewisse morose und zuwartende Trägheit, mit welcher sich der oder jener bedienen ließ, zeigte, daß er es viel lieber selbst getan hätte und auf einfachere Art. Sie schienen überwiegendenteils – wenn man etwa von den Jüngeren absah – diese großbürgerlichen Insignien ihres Standes weit eher mit einer gewissen Geduld zu ertragen als zu genießen. Und gerade dieser Zug trat für Castiletz späterhin noch viel stärker hervor, bei all jenen »Genüssen«, welche die Weltstadt bot. Man schien sich darein gefügt zu haben, dieses Zeug um sich dulden zu müssen (der anderen wegen – und jeder trug das gleiche Brett vor dem Kopfe). Was einen in Berlin aber wirklich freute, das tat man wohl für sich allein in aller Stille: die schäbige Stammkneipe aus der Jugendzeit wieder einmal gemütlich und erinnerungsvoll besuchen oder irgendein Mädel, dem man nun schon zwei Jahre lang eine kleine Wohnung hielt, mehr abseits, in Charlottenburg, in der Gegend vom Lietzenseeufer oder sonstwo (»ipsa olera olla legit« sagt jener unverschämte Valerius Catullus).
    Ja, es war ein Aquarium mit fetten, nicht sehr munteren Fischen, die meistens träge gründelten. Für diesen Abend übrigens ergab sich kein Ausgang, gemeinschaftlich oder in Gruppen. Jeder hatte da wohl schon besondere Katzen zu bürsten (olera legere). Conrad war mehr als froh darüber, denn ihm oblag es ja, sich zu beschäftigen, zu amtieren, zu peitzen, den Peitz zu bürsten (entlarven, vernichten). Man mußte es leichter nehmen, man mußte es spielerisch auffassen. Oder sportlich.
    Der Eindruck eines Aquariums wurde hier verstärkt einmal durch einen grünen, vortretenden Rand oder Kranz an der Decke entlang (abends kam von dort das Licht), zum zweiten durch gewisse keramische Ornamente an den Wänden, in grüner Farbe, also Wasserpflanzen. Es fehlte nur der Tuff-Felsen mit Höhlen und Durchschlupfen in der Mitte, woraus dann etwa der Generaldirektor Grumbach waagrecht auf dem Bauche schwimmend langsam und glotzäugig hätte hervorschweben können. Ja, man saß auf dem Grunde eines Aquariums, zusammen mit dessen Bewohnern. Castiletz spürte doch allbereits den Rheinwein.
    45
    Die doppelte Säulenreihe vor der Auffahrt des ehemaligen Palais Albrecht verlor sich kalt in der eingefallenen Dunkelheit. Das mächtige Haus selbst (welches damals völlig leer stand) entwich wesenlos nach rückwärts in sein massiges Schwarz.
    Castiletz blieb erst bei der Sandkiste stehen; dann schritt er unterhalb der Kolonnade auf und ab; es war noch viel zu früh. Ihm fiel nicht auf, daß der Hintergrund, vor welchem er sich da bewegte, aussah wie die Kulisse für eine tragische Oper (nur wäre eben dann und wann ein Automobil über diese Bühne gefahren). Die Dunkelheit nahm zu und setzte sich zwischen den grauen Säulen fest. Wenn Conrad neben der Kiste Posten faßte, dann hatte er sich gegenüber die Einmündung der Kochstraße, rechts an der Ecke einen bereits geschlossenen Zigarrenladen, links auf dem Dache oben das sehr scharf leuchtende Transparent eines Hotels, und gerade vor ihm sprang, über der Mitte der Fahrbahn schwebend, die Reihe der Lichter in den tieferen Hintergrund. Zeitweise strich ein schwacher kalter Wind über den Asphalt, und dann spürte man auch, daß Regentropfen in der Luft waren.
    In seinem Inneren blickte Castiletz auf das, was geschehen sollte, ganz so, wie man einen sich drehenden Kreisel betrachtet, verwundert, wie sicher dieser auf seiner Spitze steht. Und im Grunde war es jetzt Günther, der diesen Kreisel Kokoschs munter mit der Peitschenschnur antrieb. Er, Conrad, sah dabei mehr oder weniger nachdenklich zu. So zumindest empfand er’s durch einige Augenblicke, vor dieser finsteren, tragisch in sich verschlossenen Säulenreihe verweilend. Es sollte anders werden! Ligharts wurde jetzt nicht weniger als ein Richtpunkt, ein Vorbild. Was kommen würde, wußte man freilich nicht. Aber alles war gewissenhaft vorbereitet. Castiletz hatte eben noch, im Hotel, die durch Inkrat beschaffte genaue Beschreibung der geraubten Schmuckstücke neuerlich mit Sorgfalt studiert (welches Verzeichnis war nun wichtiger, dieses, oder das Eisenmanns?). Die Beschreibung lag im blauen Heft, als Beilage sozusagen. Was Eisenmann anging und seine sicher wohlgemeinten Bemerkungen in bezug auf

Weitere Kostenlose Bücher