Ein Mord den jeder begeht
an ihn, und so antwortete er denn: und zwar immer nach einem kleinen Schweigen von wenigen Augenblicken, welches er jeder an ihn gerichteten Frage folgen ließ. Diese Pause fehlte nie. Sie war also in hohem Grade bezeichnend (wahrscheinlich auch sehr nützlich). Wenn sie abgelaufen war, begann Klinkart zu reden, ziemlich kurz und karg im Wort, beiläufig und halblaut im Ton und zugleich – mit äußerster grammatikalischer Genauigkeit jedes Satzes. Diese Art schien irgendwie zwingend, ja hypnotisierend zu wirken. Einmal nahm er selbst das Wort und sagte folgendes, nachdem eben vorher noch zwei neue Teilnehmer eingetroffen waren:
»Wenn wir hier frühstücken oder uns sonstwie zusammenfinden, so halte ich das für unsere Privatangelegenheit, die den Verband nichts angeht. Gleichwohl bleibt uns Vorbehalten, dem Verbande, aus diesem unserem privaten Kreise heraus, einen Vorschlag zu unterbreiten, falls wir uns überhaupt zu etwas dergleichen je entschließen sollten, und falls ein solcher Vorschlag zunächst in unserem privaten Kreise genügende Unterstützung finden könnte. Mit bloßen ›Anregungen‹ hervorzutreten sind wir keinesfalls verpflichtet. Ich glaube, damit wohl im Sinne der meisten Herren zu sprechen.«
Er schwieg. Aber jetzt erfolgte keine Pause, sondern die Zustimmung äußerte sich unmittelbar nach seinen Worten.
»Bildet doch das private Moment ein Konstituens unter anderen im Leben überhaupt und also auch in der Wirtschaft. Wir konstituieren uns daher für diesmal und hier als privat.« So Stolzenbach mit einer weichen Stimme, die ihm aus den Mundwinkeln rann wie dünne saure Milch.
Allgemein gab es »Bravo«, beifälliges Gelächter und Bewegung. Die Zusammenkunft schien sich in der Tat zwanglos gestalten zu wollen. Klinkart ließ das Meritorische jetzt überhaupt fallen, nach der früher gemachten Feststellung, an welcher ihm offenbar etwas gelegen hatte; er unterhielt sich auf seine Weise mit den Zunächstsitzenden über andere Dinge, neutraler und beiläufiger Art. Dabei stellte sich zwischendurch heraus, daß man noch keineswegs vollzählig war, sondern mehrere Herren erst in der nächsten Woche zu erwarten hatte. Gleichwohl schienen die meisten froh, indessen schon hier in Berlin zu sein, und aus manchen Äußerungen war zu entnehmen, daß man die ganzen Besprechungen entweder als bloßen Vorwand für diese Anwesenheit hinzustellen sich bestrebte, oder daß sie in dem und jenem Falle wirklich nichts anderes waren. Da wußte einer von Angehörigen zu reden, die er hier habe, und von nun zu erledigenden Familienangelegenheiten (sogar von einer Erbschaft), Wirchle von einer numismatischen Ausstellung, und Grumbach schien lediglich einer Premiere wegen nach Berlin gefahren zu sein.
Die noch bestehenden Lücken hatte Castiletz bald mit Hilfe der Eisenmannschen Skala repetierend festgestellt (ohne allerdings dabei im mindesten zu murmeln, etwa gar, wie er einst dahinten, in der Ferne der Zeiten, im Schlafzimmer einer gewissen Frau Anny Hedeleg gemurmelt hatte!). Es gab hier übrigens auch mehrere junge Leute, von denen einer oder der andere im Eisenmannverzeichnis nicht angegeben war. Bei zweien davon handelte es sich, wie Castiletz später erfuhr, um mitgebrachte »Sekretäre«.
Allmählich schlug sich ein deutlicherer Eindruck von dieser ganzen Versammlung in Conrad nieder, was um so eher geschehen konnte, als er selbst, in alters – und standesgemäßer Bescheidenheit, nicht eben zu den Gesprächigen gehören mußte. Einmal fragte man ihn – und zwar sehr teilnehmend! – nach seinem verstorbenen Vater. Im ganzen meldete sich bald bei Conrad eine etwas aushöhlende Empfindung, dadurch nämlich, daß er merken mußte, hier lediglich für etwas dazustehen, für das Werk, für die Familie Veik, selbst aber nichts zu sein. Vielleicht wäre ihm vor Jahr und Tag und vor gewissen Veränderungen oder Verlagerungen (wenn man so sagen darf!) in seinem Innern hier noch eine Verwechslung passiert, und er wäre getragen worden von dem, was er bloß – bedeutete, was er nicht selbst war. An dem Punkte aber, wo Conrad damals ungefähr hielt, hatte eine solche Verwechslung eben nicht mehr statt.
Die meisten dieser älteren Männer hier machten den Eindruck, als würden sie von dem umgebenden, für vornehm geltenden, zeitgemäßen Luxus nur gestört und als wäre manchem von ihnen eine Tasse Kaffee und eine Semmel, an des Schreibtischs Rand im Comptoir eingenommen, weit angenehmer gewesen als dieses
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